Linke Proteste auch unter linkem Präsidenten

Der Dachverband Congreso de los Pueblos fordert Maßnahmen gegen Paramilitärs und Landraub

  • Hanno Bruchmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Vor der US-Botschaft in Bogotá lieferten sich indigene Gruppen vergangene Woche Straßenschlachten mit der Polizei.
Vor der US-Botschaft in Bogotá lieferten sich indigene Gruppen vergangene Woche Straßenschlachten mit der Polizei.

Wegen nicht eingehaltener Zusagen von Präsident Petro haben soziale Bewegungen eine Woche lang die wichtigsten Überlandstraßen des Landes blockiert und staatliche Einrichtungen in der Hauptstadt Bogotá besetzt, darunter die Behörde für Landreform. Esteban Romero, einer der Sprecher des Organisationsbündnisses der Proteste, erklärte die Aktionswoche gegenüber der Presse folgendermaßen: »Die Regierung Petro hat zwar versucht, Forderungen der sozialen Bewegungen in ihrem Nationalen Entwicklungsplan aufzugreifen, doch nach drei Jahren Regierungszeit müssen wir feststellen, dass sich unsere Erwartungen nicht erfüllt haben.«

Aufgerufen zur Aktionswoche hatte der linke Congreso de los Pueblos (Kongress der Völker), in dem Bauern-, Indigenen-, Schwarzen-, Stadtteil- und Studierendenorganisationen zusammengeschlossen sind. Die Organisation fordert Maßnahmen gegen die von Armee und Paramilitärs verübte Gewalt in den ländlichen Regionen, eine entschlossene Umsetzung der Landreform sowie die Einrichtung humanitärer Schutzzonen für die Bevölkerung.

Ein weiterer Schwerpunkt der Proteste war die wachsende US-Militärpräsenz in der Karibik. Nachdem die USA zuletzt mehrmals venezolanische Boote in der Karibik zerstört und unverhohlen mit einer Invasion des Nachbarstaates gedroht hatten, nimmt die Trump-Administration nun auch Kolumbien in den Blick.

Trump fordert von Kolumbien, zur Bekämpfung des Koka-Anbaus die – ökologisch verheerenden – Herbizid-Einsätze aus der Luft wieder aufzunehmen. Die sozialen Organisationen lehnen dies ebenso wie die Regierung Petro ab. Zudem forderten die Protestierenden, die Nutzung von sieben Militärbasen durch die die USA zu beenden und die bestehende militärische Sicherheitsdoktrin abzuschaffen. Nach der zentralen Abschlussdemonstration der Protesttage kam es vor der US-Botschaft zu stundenlangen Ausschreitungen mit der Polizei.

Paramilitarismus

Die Protestbewegungen kritisieren, dass das alte Machtbündnis aus Staat, Konzernen und paramilitärischen Gruppen auch unter der Linksregierung von Präsident Gustavo Petro weiter fortbestehe. Um natürliche Bodenschätze auszubeuten und Koka-Anbauflächen auszuweiten, werde in den ländlichen Regionen mit großer Gewalt gegen bäuerliche und indigene Gemeinschaften vorgegangen.

Mit den Protesten wollte der Congreso de los Pueblos Druck für tiefgreifende Reformen machen.

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Tatsächlich sorgen Landkonflikte mit multinationalen Konzernen, Großgrundbesitzern und paramilitärischen Gruppen auch weiterhin fast täglich für Todesopfer in Kolumbien. Dem Global Witness Report zufolge wurden von den 146 Umweltaktivist*innen, die 2024 weltweit ihr Leben verloren, allein 48 in Kolumbien ermordet.

Eine weitere Forderung der Proteste bestand in einer entschlosseneren Bekämpfung der Gewalt gegen queere Menschen. Aus dem Netzwerk Sin Violencia LGBTIQ+ wurden im vergangenen Jahr 175 queere Menschen in Kolumbien ermordet, die meisten von ihnen in paramilitärisch kontrollierten Gebieten. »Es gibt nicht nur eine politische Verfolgung«, erklärte Mark López, queerer Aktivist des Congreso de los Pueblos. »Die Paramilitärs töten auch jene, die nicht in ihre moralische Ordnung passen.«

Spielt eine zentrale Rolle in Kolumbiens Protestbewegungen: die Guardia Indígena, Selbstschutzorganisation indigener Gemeinden
Spielt eine zentrale Rolle in Kolumbiens Protestbewegungen: die Guardia Indígena, Selbstschutzorganisation indigener Gemeinden

Vor diesem Hintergrund sorgte die Entscheidung der Regierung Petro, die größte paramilitärische Organisation Kolumbiens, den Clan del Golfo, als »organisierte bewaffnete Gruppe« einzustufen, für Unverständnis und Wut. Die Regierung will dadurch Verhandlungen mit der mafiösen Organisation einleiten. Die von paramilitärischen Gruppen bedrohten sozialen Bewegungen sehen in der Entscheidung hingegen eine politische Anerkennung der Gruppen, die sich durch die gewaltsame Vertreibung der Zivilbevölkerung systematisch bereichern.

Trotz der heftigen Proteste war das Organisationsbündnis sichtlich um eine differenzierte Position gegenüber Präsident Petro bemüht. Laut Congreso de los Pueblos richtete sich der Protest nicht gegen die aktuelle Regierung. Vielmehr kämpfe man für strukturelle soziale Veränderungen im Land. Die politische Rechte habe die Staatsapparate über Jahrzehnte besetzt und kontrolliere diese in großen Teilen weiterhin. Es übersteige die Kompetenzen des Präsidenten, diese Situation grundlegend zu ändern.

Zudem sei man mit dem Problem konfrontiert, dass viele Linke unter der Regierung Petro in die Institutionen gewechselt seien und dadurch gesellschaftliche Kämpfe an Elan verloren hätten. Mit den Protesten solle, so der Congreso de los Pueblos, Druck für tiefgreifende Reformen gemacht werden.

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Die Regierung reagierte hingegen mit widersprüchlichen Signalen. Victor Currea Lugo, der Präsident Petro in außenpolitischen Fragen berät, erklärte: »Wir stimmen (mit den Bewegungen, Anm. d. R.) darin überein, dass die sozialen Reformen vertieft werden müssen, es ein legitimes Recht auf Proteste gibt und das Land Verfassungsreformen benötigt.« Ganz anders hingegen klang Innenminister Armando Benedetti, der als enger Vertrauter von Präsident Petro gilt. Ihm zufolge steckten »kriminelle Gruppen« hinter den Protesten.

Ende des Monats will das Regierungsbündnis Pacto Histórico seine*n Kandidat*in für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr bestimmen. Der Partei von Präsident Petro, die sich mit dem Lager des liberalkonservativen Ex-Präsidenten Juan Manuel Santos verbündet hat, werden durchaus Chancen eingeräumt, das Präsidentenamt zu verteidigen. Ob Gewerkschaften, soziale Bewegungen, Indigenen- und Schwarzenorganisation dann allerdings weiter mit der Regierung verbündet sein werden, ist ungewiss.

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