Kagame liest dem Westen die Leviten

Amtseinführung von Ruandas Präsident

  • Marc Engelhardt, Nairobi
  • Lesedauer: 3 Min.
Paul Kagame hat 1994 den Völkermord in seinem Heimatland beendet und das Land seitdem reformiert. Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit als ruandischer Präsident feiern ihn immer noch viele dafür. Doch es wächst die Kritik.

Sechzehn Staatschefs und mehr als 40 000 Ruander waren in das größte Fußballstadion der Hauptstadt Kigali geströmt, um die Vereidigung des alten und neuen Präsidenten von Ruanda zu verfolgen. Das Riesenaufgebot nutzte Paul Kagame, um den Westen im Allgemeinen und Menschenrechtler im Besonderen zu kritisieren. »Sie kritisieren unsere Fortschritte«, rief Kagame den jubelnden Massen zu. »Und für das, was sie selbst falsch machen, wollen sie uns zur Rechenschaft ziehen. Wir brauchen nicht die Lektionen, die uns immer erteilt werden.«

Der einstige Liebling des Westens, den Tony Blair in seine Afrika-Kommission berief und der als Repräsentant des ärmsten Kontinents bei G 8-Treffen und Weltwirtschaftsforen gern gesehen war, ist in der Realität gelandet. Und die sieht derzeit nicht besonders rosig für ihn aus. Ein noch unveröffentlichter UN-Bericht wirft Ruandas Armee vor, zwei Jahre nach dem Genozid in Ruanda im Osten Kongos willkürlich tausende Hutu getötet zu haben. »Was Ruandas Soldaten den Hutu im Osten Kongos angetan haben«, so das Fazit der Autoren, »grenzt seinerseits an einen Völkermord.« Kagame war damals Verteidigungsminister. Als mangelhaft und unqualifiziert verurteilte seine Regierung den Bericht. Sie droht, mehr als 3500 Soldaten aus UN-Friedensmissionen abzuziehen, sollte der Bericht veröffentlicht werden. Kritik ist nicht gerne gesehen in Ruanda, wo die seit 1994 herrschende Ideologie Kagame (52) vor allem als Befreier seines Volkes von den mordenden und brandschatzenden Hutu-Extremisten sieht. Im Frühjahr 1994 hatten diese innerhalb von hundert Tagen bereits mehr als 800 000 Tutsi und moderate Hutu umgebracht, als die von Kagame geführte, vor allem aus Tutsi bestehende »Patriotische Front« in Ruanda einmarschierte und dem Grauen ein Ende machte. Leicht hätte Ruanda danach im Chaos versinken können. Viele befürchteten einen Rachefeldzug. Doch Kagame ließ alle Soldaten festnehmen, denen »Vergeltungsschläge« nachgewiesen werden konnten. Er ließ mehr als hunderttausend mutmaßliche Völkermörder verhaften und errichtete Gedenkstätten. Sein demonstrativer Wille zur Versöhnung stabilisierte das Land und machte ihn schnell bei Geberländern beliebt, deren Hilfe das mittellose Land dringend brauchte.

Unter Kagames Führung mauserte sich Ruanda zum afrikanischen Musterland: Das Straßennetz ist asphaltiert, das Telefonnetz digitalisiert. Ruanda setzt auf erneuerbare Energien und den Dienstleistungssektor. Plastiktüten sind verboten, weil sie umweltfeindlich sind. Frauen stellen mehr als die Hälfte der Abgeordneten und Minister, mehr als irgendwo sonst in der Welt.

Kagame, als Flüchtlingskind aufgewachsen in Uganda, umgibt sich mit anderen ehemaligen Exilanten. Nur eine kleine Schicht dieser »Linksfahrer«, wie die Gruppe halb spöttisch, halb ängstlich genannt wird, profitiere vom ruandischen Aufschwung, kritisiert nicht nur die abgehängte Bevölkerungsmehrheit der Hutu. Doch laut beschwert sich niemand. Hutu und Tutsi gibt es offiziell gar nicht mehr: Wer die Worte in den Mund nimmt, kann ins Gefängnis wandern. Im Vorfeld der Wahlen Anfang August, die Kagame mit 93 Prozent der Stimmen gewann, wurden zudem kritische Journalisten, Oppositionelle und andere Kritiker verhaftet. Repression ist zum Normalzustand geworden.

Kagame wird mehr verehrt als geliebt. Doch dass die Mehrheit der Ruander hinter ihm steht, steht außer Frage. Dass Ruanda heute friedlich ist und prosperiert, sehen selbst Kritiker als sein Verdienst. Dennoch brodelt es vor allem in den Hütten auf dem Land: Dort wachsen die Ressentiments genauso rasant wie die Bevölkerung. Eine gefährliche Entwicklung.

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