Ein Reicher, der arm leben wollte

Volker Reinhardt ist eine vorzügliche Biografie über Michelangelo Buonarotti gelungen

  • Kai Agthe
  • Lesedauer: 2 Min.

Wie schnell wird das Prädikat »Genie« bemüht, wenn von einem Künstler die Rede ist. Eine der wenigen, ja vielleicht die einzige Persönlichkeit der Kunstgeschichte, welcher der Titel eines Genies zugestanden werden kann, ist Michelangelo Buonarotti (1475-1564). Ob die Fresken in der Sixtinischen Kapelle oder die Skulptur des David oder die Kuppel von St. Peter: Jedes einzelne Stück, das er schuf, ist selbst dann noch einzigartig, wenn es – wie viele seiner Marmorskulpturen – nur als Fragment überliefert ist. Keiner hat für unterschiedliche Kunstgattungen derart neuartige, unkonventionelle Gestaltungslösungen gefunden wie er, den Zeitgenossen den »Göttlichen« nannten. Außerdem war er Lyriker.

Diesem Michelangelo, der als Künstler so unerreicht wie als Mensch schwierig war, widmet Volker Reinhardt eine Biografie. Eine große Herausforderung, denn an Lebensdarstellungen des Renaissance-Künstlers fehlt es nicht. Der Autor folgt in seiner Studie der These, dass Michelangelo mit all seinem Tun weniger an seinen Ruhm dachte, sondern vor allem versuchte, seiner Familie zu neuer Reputation in Florenz zu verhelfen. Der Künstler selbst war kein Familienmensch. Er war nicht verheiratet; seine Lust hat er nicht ausleben können. Umso mehr war er um das Wohl und Wehe seiner Angehörigen besorgt. Der Briefwechsel mit ihnen ist Legion. Er unterstützte sie finanziell nach Kräften und sparte deshalb auch nicht mit Vorwürfen über deren Lebensuntüchtigkeit. Der einzige Mensch, dem Michelangelo persönlich zugetan war, war sein Diener »Urbino«. Ihm schenkte er, was er Vertretern des Hochadels und der Kurie durchaus vorenthielt: Zeichnungen von seiner Hand.

Als Michelangelo 1564 in Rom starb, fand sich in seiner sonst kargen Hinterlassenschaft eine Kiste mit rund zehntausend Dukaten, nach heutigem Maßstab 80 Millionen Euro. Ferner konnten sich seine Erben über Immobilienbesitz im Wert von zirka 150 Millionen Euro freuen. Michelangelo, den Päpste und Könige hofierten, um bei ihm ein sündhaft teures Kunstwerk in Auftrag zu geben, bedeutete Geld: nichts. Er war, so Reinhardt, ein Reicher, der aber stets arm gelebt hat, um einen Platz im Himmelreich zu erringen.

Volker Reinhardt: Der Göttliche. Das Leben des Michelangelo. Biographie. C. H. Beck. 381 S., geb., 24,95 Euro.

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