SPD verspricht Reparaturen

Verschämte Kritik an eigener Arbeitsmarktpolitik – Andere Themen bleiben ausgeklammert

  • Marian Krüger
  • Lesedauer: 3 Min.
Dem Sonderparteitag der SPD liegt am Sonntag ein Leitantrag der Führung vor, der – ohne es direkt einzugestehen – eine Generalkritik an der SPD-Politik in elf Regierungsjahren beinhaltet. Der Ton ist allerdings selbstgerecht, einige Bereiche werden vollkommen ausgeklammert.

Der am 26. September bevorstehende außerordentliche Parteitag der SPD in Berlin präsentiert eine äußerlich erstarkte und innerlich breit diskutierende Partei. Immerhin hatte die SPD schon auf ihrem Dresdener Parteitag im November 2009 beschlossen, die Fehlerdiskussion zu führen, die der greise Parteipatriarch Müntefering stets mit der stolzen Geste eines großen Staatsmannes zurückgewiesen hatte. Man nannte das diskret »Reformwerkstatt«, in der die »Reformen der letzten elf Jahre« bilanziert werden sollten. Gewissermaßen eine Kommission zur Überprüfung der Realität, die herausfinden sollte, ob all die Schlechtigkeiten draußen im Lande nicht möglicherweise doch etwas mit den elf SPD-Regierungsjahren zu tun gehabt haben könnten. Das Ergebnis dieser Fehlerdiskussion kann man jetzt in den Leitanträgen des Vorstands an den Berliner Parteitag besichtigen:

Erstens geht es um Korrekturen an Hartz IV; so soll der Bezug des Arbeitslosengelds I verlängert werden, das Arbeitslosengeld II auf 420 Euro steigen. Sanktionen sollen entschärft werden. An den Ein-Euro-Jobs will die SPD kaum noch ein gutes Haar erkennen, »ihr Integrationserfolg« sei »sehr gering«. Zweitens will die SPD deswegen einen »Sozialen Arbeitsmarkt« mit sozialversicherungspflichtigen und tarifgebundenen Arbeitsplätzen schaffen.

Drittens lehnt die SPD die Steuersenkungspolitik, die sie unter den Finanzministern Hans Eichel und Peer Steinbrück betrieben hat, nun mit beispielhafter Konsequenz ab und will den von ihr selbst gesenkten Spitzensteuersatz wieder anheben. Auch die Vermögenssteuer soll wieder eingeführt werden. Viertens sollen diese Mehreinnahmen zum Aufbau des Bildungswesens verwendet werden. Fünftens wird das deutsche Exportmodell, das auf einem »Wettlauf um … niedrigere Sozialleistungen und niedrigere Lohnkosten beruht, in Frage gestellt. Die öffentlichen Haushalte sollen wieder »Investitionsmotoren« werden. Dazu will die SPD einen »Zukunftsfonds zur sozialen und ökologischen Erneuerung Deutschlands« auflegen, der sich auch über »niedrig verzinsliche Zwangsanleihen« finanzieren soll.

Bei der Rente mit 67 hält man sich an den zwischen Parteichef Sigmar Gabriel und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier ausgehandelten Kompromiss, dass ihr Beginn weit hinter den nächsten Wahltermin verschoben werden soll. Frühestens ab 2015 soll es nun damit losgehen. Es gibt allerdings auch einzelne Anträge, die die sofortige Abkehr von der Rente mit 67 fordern. Außerdem wird die gewerkschaftliche Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro übernommen. Das beträchtliche Korrekturinteresse, das die neue Parteiführung um Sigmar Gabriel auf sozial- und wirtschaftspolitischem Gebiet zeigt, macht um die Außenpolitik, vor allem um die Kriegsbeteiligung in Afghanistan, einen großen Bogen. Dazu hat die Basis jedoch um so mehr zu sagen. Keiner der derzeit dem Parteitag vorliegenden elf Afghanistan-Anträge stellt sich hinter die bestehende politisch-militärische Linie der Bundesregierung, die die SPD-Fraktion bislang aktiv mitgetragen hat.

Angesichts dieser innerparteilichen Lage dürfte die Zustimmung der SPD-Bundestagsfraktion zur im Frühjahr 2011 anstehenden Mandatsverlängerung des Bundeswehreinsatzes höchst fraglich sein. Mehrere tapfere Ortsvereine und ein ganzer Unterbezirk beantragen zudem, dass die SPD künftig für den »umgehenden« oder auch » unverzüglichen« Abzug der Bundeswehr eintritt.

Steht die SPD vor einem Kurswechsel? Das haben wir schon nach dem Dresdner Parteitag in den Zeitungen von FAZ bis taz lesen können. Die SPD will an die Regierung. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht und werden immer besser, so lange die Merkel-Westerwelle-Regierung weiter wie bisher wurstelt.

Allerdings sind dazu Kurskorrekturen erforderlich. Ergo beseitigt man einige der gröbsten in den Schröder- und Münteferingjahren eingeführten Ungerechtigkeiten virtuell, auf Beschluss der Partei. Natürlich ist das meiste Neue an den SPD-Positionen in der Regel das, was sie zuvor an die LINKE gewandt als veraltet, populistisch oder schädlich und unfinanzierbar kritisiert und verworfen hat.

Die SPD wird etwas sozialdemokratischer, wenigstens auf dem geduldigen, ökologisch abbaubaren Papier der Parteitagsbeschlüssen. Wes Geistes Kind sie wirklich ist, wird man an ihren Taten ablesen müssen.

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