Kuck mal, wer da spricht ...

Film »Das Sandmännchen. Abenteuer im Traumland« kommt ins Kino

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Sandmännchen ist zwar seit über 50 Jahren ein Fernsehstar, hat es aber erst jetzt ins Kino geschafft. Am 30. September kommt »Das Sandmännchen. Abenteuer im Traumland« auf die Leinwand. Die Sensation: Der schweigsame Schlafsandbringer macht erstmals in seinem Puppenleben den Mund auf und rollt mit den Augen.

Es ist ungefähr 25 Jahre her, da wagten die Sandmannmacher aus Berlin-Mahlsdorf ein ungeheuerliches Experiment. Sie stellten einen Vor- und Abspann für den Abendgruß des Kinderfernsehens her, in dem sie der 25 Zentimeter großen Kultfigur mit dem unbeweglichen Gesicht ein paar Knopfaugen verpasst hatten. Das war ein Tabubruch. Der Film hat nie das Licht der kleinen Fernsehwelt erblickt. Zu groß die Bedenken der meisten Beteiligten, was wohl als nächstes kommen könnte. Am Ende soll er dann wohl auch noch einen Mund haben und sprechen? Um Himmelswillen, das wollte niemand.

Anscheinend hat sich die Furcht, eine seit Jahrzehnten über Ländergrenzen und Ideologiegräben hinweg erfolgreiche Markenfigur visuell zu verändern, bis heute gehalten Immerhin hat es vom Plan eines Kinofilms bis zu seiner Ausführung zehn Jahre gedauert. An der Geschichte kann es nicht gelegen haben. Sie hat ihre Vorgängerinnen in zahlreichen Sonderfilmen mit dem gestiefelten Sandstreuer, die bereits vor Jahrzehnten über die Bildschirme flatterten. Wieder und wieder kam darin der Traumsand abhanden, die ganze Traumwelt geriet in Gefahr oder Sandmännchen verschlug es auf die Leuchtturminsel. Auch im Kinodebüt des Stars wird wieder einmal das Sandsäckchen geklaut – vom fiesen Bösewicht Habumar, der das superverschlafene Schaf Nepomuk überlistet, welches vorübergehend auf den Schlafsand aufpassen sollte. Nun ist er weg, der begehrte Sack, dessen Inhalt in Form tausender Glitzerpartikel auf einer Scheibe allabendlich den kleinen TV-Zuschauern eine Runde Müdigkeit verpasst und ihre kleinen Fäustchen zum Reiben in die Augen treibt.

In über 80 Minuten erzählen die Regisseure Sinem Sakaoglu und Jesper Møller eine fantasievolle Geschichte, deren Schauplätze zwischen der Traumwelt und der Wachwelt wechseln, bis am Ende das gute Schaf, der gute Sandmann, das gute Kind, sein guter Vater und überhaupt alle Gutfiguren dieser Welt gewonnen haben und der minderjährige Kinobesucher mit den Eltern im Schlepptau glücklich aus dem Kino gehen kann. Gedreht in altbewährter Puppentrickmethode von 18 Animatoren, die wie früher Hand an die Figur legen, agieren Sandmännchen und seine Mitstreiter in vertrauter Körpersprache. Das freilich würde nicht ausreichen, um ein Kind von heute knapp anderthalb Stunden bei Laune zu halten. Also kommen digitale Animation und Realfilmteile hinzu, bis die Schirmchen fliegen, die Blätter regnen, die Kirschbäume von oben aus dem Himmel wachsen und der Bösewicht mit seiner Albtraumbande auf dem Lichtstrahl des Leuchtturms in die Wachwelt huscht. Beeindruckend, witzig, farbenprächtig und keine Sekunde langweilig – jedenfalls für eine erwachsene Sandmannfilmliebhaberin. Wie Kinder das sehen, wird sich ab Donnerstag dieser Woche herausstellen. Vermutlich teilt die minderjährige Zielgruppe nicht meine Skepsis gegenüber der saturierten Sandmannstimme von Volker Lechtenbrink oder die Enttäuschung über den Vater des Schlafsandretters, der mit Ilja Richter etwas ältlich besetzt ist. Nimmt man noch Anke Engelke als Sängerin hinzu, so scheint das gute, alte Ostidol von zumeist noch älteren Westpromis umzingelt, bei denen die Hersteller wohl eher auf Nummer Sicher gehen wollten, als dass sie sich auf ein kreatives Abenteuer eingelassen hätten. Schade. Ausnahme: Der Held der Geschichte ist Miko. Sein Darsteller ist wirklich neu und klein, kommt aus Brandenburg und überzeugt.

Bis jetzt ist die Rechnung der Filmemacher aufgegangen. Das nach Auskunft der Redaktion acht Millionen Euro teure Werk ist bereits vor Drehbeginn in alle skandinavischen Länder und nach Frankreich verkauft worden.

Sandmännchens erster Satz aus seinem ungewohnt großen Mund ist übrigens: »Es tut mir leid...«. Das muss es nicht, alter Schlafsandschussel. Das Kinodebüt ist vorzeigbar. Und der Trost für die komische Stimme: Beim täglichen Abendgruß geht es vermutlich auch künftig ohne Gerede, dafür gibt es einfach zu viele alte Konserven aus Sandmännchens Stummfilmära.

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