Vertrauensvorschuss: Kündigungen bei Bagatellen nicht gerechtfertigt

Arbeitsverhältnis

  • Lesedauer: 2 Min.
Eine Kassiererin ist beim Konsum Leipzig entlassen worden, weil sie ein altes Brot nicht in die Biotonne, sondern in ihre Tasche gesteckt hat. Die 44-Jährige klagte gegen den Rauswurf – und bekam jetzt vom Arbeitsgericht Leipzig recht. Die Kündigung sei nicht gerechtfertigt, es hätte auf jeden Fall einer vorherigen Abmahnung bedurft, teilte das Gericht mit. Die Frau war seit 27 Jahren bei der Konsumgenossenschaft Leipzig angestellt. (Az. 3 Ca 1482/10 – noch nicht rechtskräftig)

Die vermeintliche Unterschlagung des Brotes geschah am 15. März. Im Laufe des Tages sollte die Frau die unverkäufliche Ware in die Biotonne werfen. Zum Feierabend wurde das Brot aber in ihrer Tasche entdeckt. Die 44-Jährige erklärte, sie habe es später noch entsorgen wollen. Der Konsum argwöhnte, sie habe es behalten wollen.

Laut Arbeitsgericht ist dieser angebliche Brotdiebstahl kein Grund für eine Kündigung. Erstens habe das Brot für den Konsum gar keinen Wert mehr gehabt. Zweitens sei die Frau jahrzehntelang im Unternehmen beschäftigt gewesen und habe sich dadurch einen Vertrauensvorschuss erarbeitet. Der habe durch das Brot in der Tasche nicht so zerstört werden können, dass der Konsum sich sofort von der Kassiererin trennen musste.

Auch Bahn gemaßregelt

Die Bahn muss die fristlose Kündigung einer langjährigen Angestellten wegen falsch abgerechneter 160 Euro zurücknehmen. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg sah das Vertrauensverhältnis nach 40-jähriger Arbeitszeit ohne Beanstandungen »durch die einmalige Verfehlung noch nicht vollständig zerstört«, wie die Justiz mitteilte.

Die Frau hatte Bewirtungskosten für ihr 40. Dienstjubiläum falsch abgerechnet und die Bahn um 160 Euro betrogen. Eine Revision wurde nicht zugelassen. Damit entschied nach dem öffentlichen Streit um die Kündigung einer Kassiererin wegen eingelöster Pfandbons erneut ein Gericht zugunsten von Arbeitnehmern.

Die Bahnangestellte hatte sich von einem Lieferanten eine Gefälligkeitsquittung über 250 Euro ausstellen lassen, obwohl die Feier nur 90 Euro kostete. Als dies herauskam, kündigte die Bahn ihr fristlos. Eine vom Gericht vorgeschlagene Einigung lehnte das Unternehmen ab.

Das Gericht sah zwar eine »strafrechtlich relevante, grobe Pflichtwidrigkeit«. Letztlich habe bei der Interessenabwägung jedoch mehr gegen die Kündigung gesprochen. Die Richter bezogen sich dabei auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im Juni zugunsten der Supermarkt-Kassiererin »Emmely«.

Die Berliner Richter werteten zudem zwei Unterschiede zum Fall »Emmely« zugunsten der Bahnangestellten: Die Frau habe ihren Betrug nicht bei ihrer »Kerntätigkeit« – wie »Emmely« an der Kasse –, sondern bei anderer Gelegenheit begangen. Außerdem habe sie die Tat bei der ersten Anhörung sofort gestanden. (Az. 2 Sa 509/10)

Hintergrund: «Emmely« hatte nach 31 Jahren ihre Stelle in einem Supermarkt verloren, weil sie zwei liegen gebliebene Pfandmarken für 1,30 Euro eingelöst hatte. Sie klagte, ging durch mehrere Instanzen und siegte nach mehr als zwei Jahren vor dem Bundesarbeitsgericht, das ihre fristlose Kündigung aufhob. Seit 22. Juni sitzt sie wieder an einer Supermarktkasse. Das Bundesarbeitsgericht hatte darauf verwiesen, dass »eine einmalige Verfehlung« nicht in jedem Fall den »erworbenen Vertrauensbestand« nach einer langen Betriebszugehörigkeit aufbrauche.

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