Die Atomkraft-Konterrevolution

Bundesregierung schärft mit dem Energiekonzept ihr konservatives Profil

  • Nick Reimer
  • Lesedauer: 4 Min.

In der CDU wird heftig darüber gestritten, ob die Partei noch ein »konservatives Profil« hat. In der Energiepolitik jedenfalls hat sie dies gerade demonstriert: Die Verlängerung der Atomkraftwerks-Laufzeiten sind Konservatismus pur – es geht um das Verständnis, nachdem die Produktionsmittel in den Händen der Herrschenden zu konzentrieren sind und eben nicht in die Hände des Volkes gehören.

Die deutsche Energiewirtschaft war noch nie progressiv, links oder wenigstens liberal – sie war im Kern stets konservativ. Doch hat sich dies in den letzten zehn Jahren gewandelt: Das Erneuerbare Energien Gesetz – von Grünen und Sozialdemokraten 1999 auf den Weg gebracht – verteilt die Produktionsmittel von oben nach unten um und demokratisiert die Energieversorgung: Mit jeder neuen Solaranlage, mit jedem neuen Biomassekraftwerk wird die Marktmacht der vier großen Energiekonzerne untergraben; jedes neue Windrad, jede neue Wärmepumpe jagt den Aktionären von RWE, E.on und Co. Marktanteile und damit gesellschaftliche Deutungshoheit ab. Die Windmüller und Solarstromer haben nicht nur gezeigt, dass sich Deutschland mit ihren Anlagen versorgen lässt, sondern sie haben damit auch noch Geld verdient.

Nach dem Verlust von 16 Prozent Marktanteil musste der Demokratisierung der Energiewirtschaft ein Riegel vorgeschoben werden. Also Solarstromtarife runter und AKW-Laufzeiten rauf – so lautet die konservative Antwort. Angela Merkel als Anführerin der Konterrevolution.

Und sie wird erfolgreich sein: Die deutsche Energiewirtschaft hat im ersten Quartal 2010 gut neun Milliarden Kilowattstunden Strom ins Ausland exportiert; es wurden in Deutschland also 6,7 Prozent mehr Strom erzeugt als verbraucht. Die gleiche Menge produzieren im selben Zeitraum sechs Atomkraftwerke. Und zwei weitere AKW stehen seit Jahren wegen versuchter Mängelbeseitigung still. Bereits heute sind also dank des Ausbaus von Windkraft, Biomasse, Photovoltaik und Co. acht Atommeiler überflüssig.

In ihrem jetzt beschlossenen Energiekonzept rechnet die Bundesregierung bis 2020 mit einem regenerativen Stromanteil von 35 bis 40 Prozent. Dann wären schon 16 der 17 deutschen Atomkraftwerke überflüssig. Rechnet man noch die ehrgeizigen Effizienzziele ein, wird bereits 2017 schlicht kein Atomstrom mehr gebraucht.

Vier AKW hätten nach dem rot-grünen Atomausstiegsgesetz dieser Tage vom Netz gehen müssen, aber das ist ja nun obsolet. Genauso wie die schwarz-gelbe Regierungsmär, dass die Atomkraft eine Brücke ins regenerative Zeitalter ist: Im Netz kann nämlich immer nur genau so viel Strom fließen, wie gerade von den Kunden gebraucht wird. Vorteilhaft sind deshalb Kraftwerke, die schnell zu- oder abgeschaltet werden können. Atomkraftwerke sind jedoch am unflexibelsten: Rund 50 Stunden sind notwendig, um die atomare Kettenreaktionen in Gang zu setzen oder zu unterbrechen. Deshalb sind AKW der natürliche Feind der Erneuerbaren: Bläst der Wind kräftig, ist im Netz oft schon so viel Atom- und auch Kohlestrom, dass kein Platz mehr für die dezentral produzierte Elektrizität ist. In Schleswig-Holstein, wo heute dank Atom- und Windkraft mehr als 2,5 Mal so viel Strom produziert als verbraucht wird, ist das mittlerweile bei steifer Brise die Regel: Das Atomkraftwerk Brokdorf läuft, die Windparks werden abgeschaltet.

Noch besitzen die Erneuerbaren einen »Einspeisevorrang«. Windrädern, Biomassekraftwerken oder Geothermie-Turbinen wird garantiert, dass sie ihren Strom immer ins Netz einspeisen und zu festen Tarifen verkaufen können. Mit zunehmendem Ausbau der Erneuerbaren werden bei gleichzeitig laufenden Atomkraftwerken immer häufiger die Windräder vom Netz getrennt. Atomkonzerne können so weiter ihren Atomstrom verkaufen, und über das Erneuerbare Energien Gesetz erhalten die Windmüller eine Entschädigung für ihren Produktionsausfall. Wir Verbraucher zahlen also dafür doppelt. Absehbar ist daher, dass der Einspeisevorrang für die Erneuerbaren gestrichen wird und Verbraucherschützer sich wie schon bei der Absenkung der Solartarife zum Büttel der Konterrevolution machen werden.

Wenn ein Windmüller sein Produkt Strom nicht zu jeder Zeit garantiert über das Netz der Stromkonzerne verkaufen kann, wird er nicht mehr investieren. Damit hätten die Konservativen gesiegt.

Unser Autor ist Redaktionsleiter von »www.klimaretter.info«.

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