Ausgebremst und schlecht bezahlt

Ein Berliner Projekt will behinderten Frauen den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern

  • Margit Glasow
  • Lesedauer: 3 Min.
Diplom-Kauffrau und Steuerberaterin Susanne W. ist verzweifelt. Nach schwerer Krankheit mit der Folge einer Hirnleistungsminderung scheint der Berufswiedereinstieg aussichtslos. Die Situation ist kein Einzelfall.

Susanne W. verspürt im Januar 2004 in der rechten Körperhälfte kein Gefühl mehr, kurze Zeit später wird ein Gehirntumor diagnostiziert. Nach der Operation fühlt sich die freiberufliche Steuerberaterin in einer Wirtschaftsprüfungsfirma zunächst wieder fit und schaut optimistisch in die Zukunft. Doch es folgen weitere Operationen, die letztlich zu einer Hirnleistungsminderung führen, die ihre Konzentrationsfähigkeit stark einschränkt und längere Arbeitspausen erforderlich macht.

Trotz ihrer Einschränkungen unternimmt die damals 33-Jährige verzweifelte Versuche, als Buchhalterin zu arbeiten, bis sie erkennen muss, dass sie der Hektik und dem Lärmpegel in einem großen Büro nicht mehr gewachsen ist. Seitdem ist sie erwerbslos. In der Hoffnung, ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, beginnt sie im April 2009 einen Kurs bei Life e. V.

Denn Arbeit zu haben und damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ist eine grundlegende Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben. Allerdings sind etwa vier Millionen behinderte Mädchen und Frauen das Schlusslicht auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Auch für Susanne W. bedeutet Arbeit finanzielle Unabhängigkeit, soziale Kontakte, Selbstverwirklichung und gesellschaftliche Anerkennung. »Dieser Kurs hat ziemlich viel bei mir und den anderen Frauen angestoßen«, berichtet sie. »Es war das erste Mal, dass ich mich mit anderen behinderten, benachteiligten Frauen austauschen konnte.« Wichtig waren das Bewerbungstraining mit Rollenspiel und Stärken-Schwächen-Analyse. Es sei ihr klar geworden, dass ihre Fähigkeiten im kreativen Bereich liegen. »Die analytische Schiene, wo es auf Genauigkeit ankommt«, so betont sie, »ist durch die Operationen beschädigt worden.«

Andrea Simon, Leiterin des Berliner Projektes, zieht ein positives Resümee: Die Vermittlungsquote der Teilnehmerinnen liegt bei 20 bis 30 Prozent. Die Erfahrungen der ersten beiden Kurse hätten gezeigt, dass es besonders schwierig sei, die Frauen in Berufspraktika und Festanstellungen zu vermitteln. Deshalb sei der laufende Kurs auf zehn Monate verlängert worden, so dass Frauen bei der Praktikumsplatzsuche unterstützt werden und Erfahrungen in ausgewählten Betrieben sammeln können. Dazu werden Kontakte zu Arbeitgebern hergestellt.

Laut Simon müssten Arbeitgeber jedoch noch selbstverständlicher zu Bewerbungsgesprächen einladen. Immer wieder gebe es Unsicherheiten. Fehlendes Wissen und Vorurteile vor allem hinsichtlich des besonderen Kündigungsschutzes erschwerten einen unbefangenen Kontakt bei Bewerbungen und verringerten die Beschäftigungschancen der Frauen. Viele Betriebe zahlten eher die Ausgleichsabgabe, als dass sie einen Menschen mit Schwerbehinderung einstellen.

Auch die Frauen müssten immer wieder zu Berufspraktika ermutigt werden, in denen sie ihre Kompetenz und Leistungsbereitschaft unter Beweis stellen könnten. Dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zufolge gehören zu den wichtigsten Gründen, warum sich Betriebe für einen Mitarbeiter mit Behinderung entscheiden, positive Erfahrungen während eines vorangegangenen Praktikums. Allerdings ist der Verdienst der Frauen oft so gering, dass sich der Aufwand, eine Stelle anzunehmen, oft nicht lohnt.

Trotz aller Bemühungen von Andrea Simon und ihren engagierten KollegInnen: Die Erwerbslosigkeit von Menschen mit Behinderung in Deutschland wächst, auch angesichts der Wirtschaftskrise. Im August 2010 waren laut der Bundesagentur für Arbeit 176 787 schwerbehinderte Menschen arbeitslos gemeldet, 5,3 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. Auch Susanne W. hat bisher keinen neuen Job gefunden. Sie versucht, sich mit Gelegenheitsjobs wie Komparsenrollen bei Film und Fernsehen durchzuschlagen. Doch davon kann sie nicht wirklich leben.


Lexikon

Ziel des Berliner Life e. V. ist es, Gleichberechtigung von Frauen in Bildung und Beschäftigung sowie in gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen zu verankern. Frauen mit Behinderung sind eine Zielgruppe. Um sie zu unterstützen, haben die Mitarbeiterinnen des Vereins 2008 das Projekt »Kraft und Perspektive« initiiert. Damit wollen sie vor allem das Vertrauen dieser Frauen in die eigenen Fähigkeiten und Ressourcen stärken, Entwicklungspotenziale bewusst machen, Kommunikations- und Selbstlernkompetenzen verbessern und Perspektiven für eine Beschäftigung entwickeln. mg

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