Wieder in die Sackgasse?
In den derzeitigen Nahostverhandlungen geht es um die gleichen Fragen wie vor zehn Jahren in Camp David
Von Yasser Arafat ist der Satz überliefert, dass die zwei Wochen in Camp David für ihn schlimmer gewesen seien als die zwei Wochen Belagerung Beiruts und die israelischen Luftangriffe im Sommer 1982. Man sah es Arafat an, wie quälend diese 14 Tage im Juli vor genau zehn Jahren in der Klausur mit US-Präsident Bill Clinton und Ministerpräsident Ehud Barak gewesen sein mussten. Es ging zum wiederholten Mal um einen Friedensvertrag zwischen Israel und den Palästinensern, der nach dem Oslo-Abkommen von 1995 im September 2000 abgeschlossen werden sollte. Doch am 25. Juli 2000 war klar, dass auch dieser Versuch gescheitert war.
Mahmud Abbas macht bei den derzeitigen Verhandlungen einen bei weitem nicht so gequälten Eindruck. Selbst die erneute Demütigung, die er unter dem Druck der USA und der EU, verstärkt durch die Arabische Liga, hinnehmen muss: weiterverhandeln trotz Fortsetzung des Siedlungsbaus, hat ihn nicht sichtbar erschüttern können. Unter den Palästinensern aber verliert er dauernd weiter an Glaubwürdigkeit. Und es müsste ein Wunder geschehen, wenn sein Gegner Benjamin Netanjahu und die Vermittlerin Hillary Clinton ihm dafür in den zentralen Fragen eines zukünftigen palästinensischen Staates entgegenkommen würden. Das hatte Bill Clinton schon vor zehn Jahren nicht geschafft, sondern in den entscheidenden Fragen Partei für Israel ergriffen.
Monatelang Gespräche – ohne Erfolg
Noch wissen allerdings die wenigsten, wie es läuft. Man weiß nur, dass es um die gleichen Fragen geht wie in Camp David: um die Grenze zwischen Israel und dem zu gründenden palästinensischen Staat, um die Siedlungen, den Status Jerusalems und die Regelung der Flüchtlingsfrage. Damals hatte sich Arafat lange gegen das Treffen gesträubt, das vor allem Barak wollte, und zu dem dieser Bill Clinton erst überzeugen musste. Arafat hatte noch kurz zuvor US-Außenministerin Madeleine Albright erklärt, dass es einer gründlicheren Vorbereitung bedürfe.
Diesmal war es Barack Obama, der beide Kontrahenten gleichsam vorladen musste, um sie zum Dialog zu zwingen. Die Zweifel allerdings sind gewachsen, ob die Bedingungen heute besser sind, um auf die gleichen Fragen eine Antwort zu finden, die es bisher nicht gab. In Camp David hatte sich Barak geweigert, auch nur einmal mit Arafat unter vier Augen zu sprechen. Das hat sich jetzt geändert. Aber viele befürchten, dass das auch der einzige Fortschritt bleiben wird.
Vor Camp David hatte es in Stockholm Geheimgespräche zwischen dem israelischen Minister Schlomo Ben-Ami und dem palästinensischen Parlamentspräsidenten Ahmed Kureia gegeben, die nach 15 Verhandlungsrunden ergebnislos abgebrochen wurden. Hauptstreitpunkt soll die Anerkennung der UNO-Beschlüsse gewesen sein, vor allem der Resolution 242 des Sicherheitsrats und der Resolution 194 der Generalversammlung über das Rückkehrrecht der Palästinenser. Ben-Ami hatte abgelehnt und hinzugefügt: »Sie sind nicht stark genug, Ihre Forderungen durchzusetzen, seien Sie also realistisch, gehen Sie auf unsere Vorschläge ein.«
Auch vor diesen in Washington gestarteten Gesprächen hat es monatelange Gespräche zwischen der PLO und Israel gegeben – ebenfalls ohne sichtbaren Erfolg. Ist Abbas jetzt stark genug, die UNO-Beschlüsse und das Völkerrecht zur Grundlage der Verhandlungen zu machen, und welchen »Realismus« ist er bereit zu akzeptieren? Letzteres hängt noch weniger von ihm selbst ab als seinerzeit von Arafat, denn er ist viel schwächer als es Arafat 2000 war. Abbas' Mandat ist offiziell abgelaufen, und für diese Verhandlungen hat er nur noch die Unterstützung der Fatah, und auch die nicht mehr vollständig. Nicht nur Hamas, auch alle anderen palästinensischen Organisationen außer Fatah halten gar nichts von den Gesprächen und bezweifeln ihren Nutzen.
In Camp David gab es vier Arbeitsgruppen, die sich den Themen Grenzfragen, Statut von Jerusalem, Siedlungen in den besetzten Gebieten und Sicherheit widmeten. Nur in der Frage der Sicherheit an der Ostgrenze im Jordantal gab es Fortschritte. Dieses ist ein Gebiet von 2400 Quadratkilometern sehr fruchtbaren Ackerlandes, das zur Hälfte von jüdischen Siedlern kontrolliert wird. Weiteres Land ist durch Israel als Militärzone ausgewiesen. Den Palästinensern und Palästinenserinnen bleiben nur vier Prozent des Tales für Landwirtschaft und zum Wohnen. Israel beansprucht das Tal nach wie vor als Sicherheitszone.
In Ost-Jerusalem wollte Barak den Palästinensern lediglich einige Viertel und Dörfer am Stadtrand vollständig zurückgeben und eine Art Teilautonomie in den muslimischen und christlichen Vierteln der Altstadt sowie außerhalb der Stadtmauern einräumen. Die großen Siedlungen Ariel im Norden, Maale Adumin östlich von Jerusalem und Gush Etzion bei Betlehem wollte er auf jeden Fall behalten, also annektieren. Den Palästinenser wären schließlich nur noch 87 Prozent des Westjordanlands verblieben. In der Konferenz von Taba im Januar 2001 wurde das Angebot auf 94 Prozent erhöht, was vor allem den Verzicht Israels auf das Jordantal, auf Shilo bei Jerusalem und den Ostteil von Ariel bedeutete. Für die übrigen sechs Prozent sollte ein Äquivalent von drei Prozent im Süden von Gaza abgetreten werden, außerdem sollten drei Prozent mit einem Korridor zwischen Westjordanland und Gaza-Streifen verrechnet werden, der unter palästinensischer Souveränität stehen sollte. Jerusalem sollte als Hauptstadt beider Staaten ungeteilt bleiben. Die jüdischen Viertel sollten an Israel, die arabischen an die Palästinenser gehen.
Einen vollständigen Baustopp gab es nie
Am 27. Januar 2001 suspendierten beide Seiten die Gespräche auf Grund der bevorstehenden Wahlen in Israel. In ihrer gemeinsamen Erklärung bekannten sie, dass sie »niemals zuvor näher an einem Übereinkommen waren und es deshalb unser beider Glaube ist, dass die verbleibenden Fragen (nach den Wahlen) gelöst werden können«. Bekanntlich siegte Ariel Sharon, der überhaupt kein Interesse an einem solchen Deal hatte.
Die Flüchtlinge symbolisieren für die Palästinenser in besonderer Weise die nationale Katastrophe von 1948, aber die israelische Seite zeigte sich in Camp David in dieser Frage unnachgiebig hart. Sie tischte die alte und schon damals von israelischen Historikern widerlegte Behauptung auf, dass die arabischen Länder für diese Tragödie verantwortlich seien, da sie die Palästinenser zur Flucht aufgefordert hätten, »um deren Befreiung durch die arabischen Armeen abzuwarten«. Sie bot an, entweder mehrere tausend Flüchtlinge sofort aufzunehmen, oder fünf- bis zehntausend binnen zehn Jahren. Die Anerkennung der Resolution 194, die das Rückkehrrecht aller Flüchtlinge enthält und die Voraussetzung für die Aufnahme Israels in die UNO gewesen war, kam nicht mehr in Frage. Sie wurde als gleichbedeutend mit der Vernichtung des jüdischen Staates abgelehnt.
Noch stehen die Verhandlungen an wechselnden Orten am Anfang und haben sich schon in den ersten Klippen verkeilt. Es gab nie einen vollständigen Baustopp, denn auch während des Moratoriums haben die Siedler in Ostjerusalem und in den großen Siedlungsblöcken ihre Aktivitäten nie völlig eingestellt. Zwar hat die PLO Abbas jetzt zum Abbruch der Verhandlungen geraten, nachdem das Moratorium abgelaufen ist und sofort neue Bauarbeiten begonnen haben. Abbas aber hat die Entscheidung der Arabischen Liga zugeschoben, die am gestrigen Freitag darüber entscheiden wollte. Sie wird, mit den USA und den Europäern im Nacken, zweifellos irgendeinen Kompromiss finden, um Abbas am Verhandlungstisch zu halten. Die Baumaterialien für die Kläranlage in Gaza haben zwar die Grenze passieren können, aber dies ist nur eine zeitweise und punktuelle Lockerung der Blockade. Insofern werden die Raketen weiterhin von Gaza abgeschossen werden und die israelische Armee wird ihre gezielten Tötungen fortsetzen.
Israel hätte viel zu gewinnen
Ein Zurück nach Camp David wird Abbas nicht überstehen, noch viel weniger als Arafat. Es würde bedeuten, dass die Palästinenser endgültig auf die völkerrechtliche Basis ihrer Forderungen verzichten und ihren Anspruch auf einen eigenen souveränen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt aufgeben. Selbst die Fatah könnte einem solchen Kompromiss nicht zustimmen, es sei denn um den Preis ihres Zerbrechens. Ein Zurück nach Taba wird Netanjahus Koalition nicht überleben und den radikalen Kern der Siedler zu Gewalt und Bürgerkrieg treiben. Denn seit 2001 hat die Politik unter Sharon, Ehud Olmert und Netanjahu die Siedler nicht auf einen Rückzug aus den besetzten Gebieten und die Bevölkerung nicht auf die Gründung eines palästinensischen Staates vorbereitet. Sie hat im Gegenteil die Siedlungspolitik verschärft, die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus Ost-Jerusalem intensiviert und mit dem Bau der Mauer die Annexion palästinensischen Bodens vorangetrieben. Das Scheitern von Annapolis und die Blockade sowie der Krieg gegen den Gaza-Streifen haben zusätzlich die chauvinistischen und militanten Kräfte in der Gesellschaft verstärkt und in die Regierung geholt. Der Spielraum hat sich für Netanjahu weiter verengt – er hat es offensichtlich so gewollt.
Für die Palästinenser steht mit jedem weiteren Verzicht hinter die Linie von Taba die eigene Existenz und Identität auf dem Spiel. Geht aber Israel auf die Forderungen der Palästinenser ein, so garantiert ihm ein derartiger Kompromiss sein Existenzrecht und die Unantastbarkeit seines Territoriums – alles das, was es sich 1948/49 genommen und erkämpft hat. Die Gründung eines palästinensischen Staates, der ein sicheres Territorium mit Gaza, dem Westjordanland und Ostjerusalem umfasst, würde für Israel nicht den Verlust des biblischen Judäa und Samaria bedeuten, das es sie nie besessen hat. Der freie Zugang zu den biblischen Stätten wäre vergleichsweise leicht zu vereinbaren zwischen zwei souveränen Staaten. Israel würde gewinnen: die Garantie seiner staatlichen Existenz und Sicherheit, die Befreiung von der permanenten gewalttätigen Auseinandersetzung mit den palästinensischen Nachbarn, die Normalisierung der Beziehungen zu den arabischen Nachbarn, die Akzeptanz im gesamten arabischen Lager und nicht zuletzt die Eindämmung eines wieder zunehmenden Antisemitismus.
Schließlich würden Obama und Clinton auch ihrem »nationalen Interesse« besser dienen, wenn sie Israel zu derartigen Schritten bewegten, als wenn sie dessen jüngstem Beschluss, für 2,5 Milliarden US-Dollar 20 F-35-Stealth-Kampfflugzeuge zu kaufen, aus eben jenem »nationalen Interesse« nachkommen, mit dem sie ihre Waffenverkäufe in den Nahen und Mittleren Osten immer begründen.
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