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Erst gutes Essen, dann Kommunismus

Bruno Ganz über Tiziano Terzani, die unbekannte Kunst des Sterbens und unangenehme linke K-Gruppen

  • Lesedauer: 6 Min.
»Das Ende ist mein Anfang«, der derzeitig in den Kinos laufende Film von Jo Baier zum gleichnamigen Bestseller – er zeigt, wie Tiziano Terzani, weltberühmter Autor und langjähriger Südostasien-Korrespondent des »Spiegel«, kurz vor dem Krebstod seinem Sohn Folco von abenteuerlichen Lebenserfahrungen und spirituellen Annäherungen an den Tod erzählt. Die Rolle des sterbenden Terzani spielt Bruno Ganz, geb. 1941 in Zürich, voller Hingabe und mit großer Sensibilität.

ND: Können Sie persönlich die spirituellen Erfahrungen des Tiziano Terzani nachvollziehen?
Ganz: Ich glaube, Schauspieler verschließen sich nicht, wenn das Volumen der Fantasie angeregt wird. Man muss sich ja in Räumen bewegen, die mit Spökenkiekerei, Wahrsagerei und unsicheren Gefilden zu tun haben. Es ist gut, wenn Schauspieler sich um alles kümmern, was mit Religionen, Metaphysik und Transzendenz zu tun hat. Ob sie dran glauben, das ist was anderes.

Ist der Tod in der westlichen Gesellschaft stärker tabuisiert als in der fernöstlichen?
Wir hantieren im Alltag nicht so mit Metaphysik. Das ist bei uns delegiert an die Kirchen und an die Philosophie. Aber die hat damit leider ja auch nichts mehr am Hut, eigentlich mit nichts mehr, das mit dem Jenseits zu tun hat. Wir glauben, dass wir mit unserem rationalen Kram alles bewältigen. Wir können ja viel! Nur den Tod, den beherrschen wir nicht

Denkt man bei dem Film »Das Ende ist mein Anfang« zwangsläufig an den eigenen Tod?
Wenn man alt genug ist, schon. Mit 20 hätte ich mir über meinen Tod keine Gedanken gemacht. Da habe ich das auf der Bühne so effektvoll wie möglich dargestellt. Und alle sagten: »Toll gestorben!« Jetzt, na klar, macht man sich Gedanken. Mein Fazit: Ich kann mich meinem Tod nicht mittels eines Spiels nähern. Ich kann das Sterben nicht lernen, indem ich es vorher spiele.

Würden Sie sich wünschen, im Kreise ihrer Familie in Ihrem Zuhause in Venedig zu sterben?
Das hinge sehr davon ab, wie der Tod mich antrifft. Ob ich noch Zeit dazu habe, und wie es mir geht, und ob die andere das wollen. Im Prinzip finde ich das nett, ja.

Was sagt Ihnen Terzanis Behauptung, seine Gelassenheit und die Annahme des Todes basierten auf den Erfahrungen eines reichhaltigen Lebens?
Ja, das sagt er dem Sohn: »Ich bin jetzt nicht an einem Punkt, wo ich denke: Oh, ich habe das und das versäumt, und könnte ich doch noch ein bisschen leben. Im Gegenteil: Ich habe so viel bekommen, dass ich jetzt auch in Ruhe gehen kann.« Er möchte dem Sohn, der wie alle Menschen Angst vor dem Tod hat, zeigen, in welch leichter Verfassung man mit dem Sterben umgehen kann. – Bei ihm selbst war das schwankend, glaube ich. Er hatte auch manchmal Angst und war verzweifelt. Das weiß ich aus den Gesprächen mit dem Sohn Folco, der ja immer beim Dreh anwesend war. Über Schmerzen wurde aber nicht gesprochen, weder von ihm noch von anderen. Drei Tage vor seinem Tod hat Terzani sich in seine »Remise« zurückgezogen. Keine Kommunikation mehr. Was weiß ich, was da passiert ist.

Im Film erfährt man auch viel über die 68er, eine Generation, die marxistisch-leninistisch gedacht hat und deren Ideale dann gescheitert sind. Wie wichtig war dieser filmische Aspekt für Sie?
Für mich persönlich war die italienische Version des Kommunismus interessant. Ich war ja in Berlin mal an einem marxistischen Theater, mit der Variante KPAO (Kommunistische Partei Deutschlands Aufbauorganisation), an der schaubühne, und da haben wir auch eine Schulung bekommen, Kommunistisches Manifest, Lenin zwei Schritte vor und einen zurück und das alles. Gleichzeitig haben wir ein Seminar gemacht über Richard II, Shakespeare. Das waren so die Pole, innerhalb der sich dieses Theater bewegte. Deswegen war das gut. Aber die Italiener, die immerhin bei normalen nationalen Wahlen, zu Zeiten von Berlinguer, 33 Prozent der Stimmen bekamen – das war eine andere Veranstaltung: Erst das Leben, zum Beispiel gutes Essen, und dann der Kommunismus. Da haben sie sich sehr unterschieden vom Deutschen. Analog zu Terzani habe ich die gleichen Erfahrungen gemacht und mich langsam von den Kommunisten und allem streng Linkem wegbewegt, aber ich bin dann nicht zu Gandhi übergelaufen.

Terzani sagt, seine Erlebnisse in China waren der Auslöser für seine Absage an den Kommunismus.
Ja, Mao war zunächst sein Gott, weshalb er sogar Chinesisch gelernt hat. Noch Pol Pot hat er einigermaßen toleriert, was mir schon unbegreiflich ist. Aber wegen Mao wollte er unbedingt nach China – bis dann alles zusammenbrach.

Gab es für Sie auch einen Anlass oder Auslöser, sich von der Utopie wegzubewegen?
Das ist mählich passiert. Aber was mich zutiefst schockiert hat, war dieser Fememord der Gruppe »2. Juni« im Grunewald in Berlin, wo sie ihr eigenes Mitglied hingerichtet haben. Ich dachte, so, jetzt sind wir an einem Punkt, wo alles aufhört. Wenn die Linken unter sich so verfahren, dann will ich damit nichts mehr zu tun haben. Und überhaupt: Je länger diese Baader-Meinhof-Entwicklung fortschritt, desto unangenehmer wurde das alles. Mit der Zeit fiel einem auch diese Gängelei der Linken auf, dieses aufgeladene, aggressive Klima in diesen sogenannten Kadergruppen – äußerst unsympathisch alles.

Wollen Sie sich auch vom Theater verabschieden oder sind Sie nur mit den heutigen Rollenangeboten nicht zufrieden?
Ich bin mit der herrschenden Ästhetik nicht ganz so einverstanden. Einen gewissen Abstand nehme ich da ein, um es mal nett zu sagen. Ich bin zu altmodisch für das heutige Theater.

Sie haben unter Eichinger den Hitler gespielt ...
Unter? Das schon mal gar nicht! (Lachen)

Werden Sie darauf immer noch angesprochen?
Ja, auch heute wieder.

Stört Sie das?
Ja, manchmal schon. – Aber, wenn ich im Ausland darauf angesprochen werde, bei Russen zum Beispiel, dann ist das ein gutes Gefühl.

Sie haben damals gesagt: »Wenn man mit dem Teufel essen will, braucht man einen langen Löffel!«
... einen langen Löffel, ja. Das ist ein guter Spruch. Nicht nur für diese Situation.

Also bleiben wir lieber bei Terzani: Ist die schauspielerische Verantwortung für Authentizität und Korrektheit gegenüber der Lebensgeschichte von Terzani ähnlich groß wie bei einer historischen Figur? Die Dreharbeiten in der Toskana, im Haus der Familie, stelle ich mir als Herausforderung vor.
Also, wenn ich es mir hätte aussuchen können, hätte ich gern darauf verzichtet. Ich hätte gern einen Nachbau im Studio gehabt. Der Ort des realen Geschehens und die Original-Personen waren für mich sozusagen Instanzen, die im absoluten Besitz der Wahrheit waren. Die konnten jede Sekunde nachweisen, ob das, was ich spielte, nun was taugte oder nicht. Ich fühlte mich schon sehr scharf beobachtet und eingeengt. Aber mit der Zeit habe ich dann ein gutes Verhältnis gekriegt zu den lebenden Hauptpersonen.

Interview: Angelika Kettelhack

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