Lesen unterm Hakenkreuz

Autoren und Bestseller im »Dritten Reich«

  • Tim Fiege
  • Lesedauer: 3 Min.

Ab 1935 beganen die Nazis alljährlich im Oktober die »Woche des deutschen Buches«. Angeführt von Propagandaminister Joseph Goebbels legten sie im herbstlichen Weimar Kränze an den Gräbern von Goethe und Schiller nieder. Auf diesen rituellen Akt folgten im gesamten »Deutschen Reich« zahlreiche Veranstaltungen und Publikationen, mit denen der Geist der deutschen Klassik beschworen werden sollte.

Die großen Dichter gehörten auch in der NS-Diktatur zum Bildungskanon und wurden von den Nazis gnadenlos instrumentalisiert. Doch der Versuch, eine »Traditionslinie« von der Weimarer Klassik zu den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts zu ziehen und gleichsam im Windschatten eine originäre nationalsozialistische Buchkultur zu etablieren, musste scheitern. »Bei der Suche nach der NS-eigenen Literatur, die gewisse ästhetische Qualitätsstandards hält, läuft man ein ums andere Mal ins Leere.« Dies ist eine zentrale These des Germanisten Christian Adam, der sich der »Autoren, Bestseller und Leser im Dritten Reich« annimmt. Nach Publikationen zu vertriebenen Schriftstellern und verbrannten Büchern widmet er sich nun einem nahezu unerforschten Kapitel deutscher Literaturgeschichte.

Zwei weitere Thesen, die er offensiv vertritt und begründet, lassen aufhorchen: Es habe »keine flächendeckende, allumfassende Zensur und Kontrolle von Schriftstellern und Verlagen« und »keine einheitliche Literaturpolitik« gegeben. Dabei waren die Ausgangsbedingungen dafür mit der Schaffung des sogenannten Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda »günstig«. Es entwickelte sich schnell zu einem bürokratischen Monstrum mit über tausend Mitarbeitern, hatte aber keine eigene Abteilung Literatur.

Erste Ansätze einer sehr wohl beabsichtigten NS-Literaturpolitik zeigten sich in dem Bestreben, missliebige Autoren aus Büchereien und Bibliotheken zu entfernen, ihre Werke zu vernichten und ihre Schöpfer ins Exil zu vertreiben. Eine weitere frühe Maßnahme war das Verbot der »Kunstkritik«, die sich, so Goebbels, zum »Kunstrichtertum« aufgespielt habe. An ihre Stelle trat der »Kunstbericht«, und literarische Rezensionen sollten ab sofort in der neuen Publikation »Die Buchbesprechung« verbreitet

werden. Welchen Einfluss diese »Besprechungen« auf das Kaufverhalten der Bücherfreunde zwischen 1933 und '45 hatte, lässt sich postum wohl kaum quantifizieren; regelmäßige Bestsellerlisten, wie sie zu Zeiten der Weimarer Republik die Zeitschrift »Die literarische Welt« veröffentlichte, führten die Nazis jedenfalls nicht. Dennoch konnte Adam Auflagenhöhen anhand verschiedener Quellen ermitteln. So ergibt sich ein ziemlich klares Bild der Lesegewohnheiten der Deutschen unterm Hakenkreuz.

Biografische Darstellungen von Erfindern (Diesel) und führenden NS-Politikern (Göring), chauvinistische Hetzschriften (Hans Grimm, Hans Zöberlein), harmlose Unterhaltungsliteratur (Heinrich Spoerl, Wilhelm Busch), Arztheftchen, Familiensagen und – natürlich – Krimis (George Simenon, Edgar Wallace) erreichten sechsstellige Auflagen. Andererseits befinden sich unter den Bestsellern auch Margaret Mitchells US-amerikanisches Bürgerkriegsepos »Vom Winde verweht«, Ehm Welks Heimatgeschichten und Erich Maria Remarques Weltkriegsroman »Im Westen nichts Neues«. Dass Hitlers Pamphlet »Mein Kampf« eine Rekordauflage von über zwölf Millionen erreichte, erklärt Adam wie folgt: »Als ein Grund für seine große Verbreitung wird häufig genannt, dass ›Mein Kampf‹ allen Hochzeitspaaren als Geschenk zur Trauung von den Standesämtern überreicht worden sei.«

Mit Kriegsbeginn änderten sich sowohl das Leseverhalten als auch die Buchversorgung von Bevölkerung und Soldaten schlagartig. Durch das wachsende Lesebedürfnis und die lahmende Produktion wurde das Buch zur »Mangelware«. Die Verlage entdeckten das riesige Heer als vielleicht »größte Zielgruppe der Buchhandelsgeschichte«.

Adam arbeitete in Archiven, stöberte auf Flohmärkten, interviewte Zeitzeugen und wurde in Antiquariaten fündig. Auch seine Recherche der Lieblingslektüre der »Köpfe« des NS-Regimes war erfolgreich. Er korrigiert das offizielle Bild des wissensdurstigen, die großen philosophischen Klassiker verschlingenden »Führers«. Auf Hitlers Nachttisch hätten sich stattdessen Werke von Karl May und Bücher über Architektur, Malerei und die Zucht von Schäferhunden befunden.

Christian Adam: Lesen unter Hitler. Galiani Verlag, Berlin. 383 S., geb., 19,95 €.

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