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»Autonomie in Solidarität«

Wilfried Telkämper zu Parteiferne und -nähe, außenpolitischer Vernetzung und Brückenfunktionen

  • Lesedauer: 6 Min.
Der Auslandssektor verfügt im laufenden Jahr über mehr als die Hälfte der Gesamtmittel der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Dem »Zentrum für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit« steht seit Juli Wilfried Telkämper als Direktor vor. Der frühere Europaabgeordnete der Grünen, der 2007 der Partei DIE LINKE beitrat, plädiert für eine verstärkte Vernetzung der internationalen Aktivitäten der Linkspartei. Mit ihm sprach für ND Uwe Sattler.

ND: Oskar Lafontaine hat kürzlich vor der Stiftung gesprochen und erklärt, dass es der LINKEN an außenpolitischer Kontur fehle. Hat die Partei das Thema Internationales in den letzten Jahren verschlafen?
Telkämper: Nein, das habe ich so nicht verstanden. Gerade die LINKE steht doch für »Raus aus Afghanistan«. Außenpolitik ist wesentlicher Bestandteil linker Programmatik. Selbstredend war dies Thema unserer jetzt beendeten Jahreskonferenz, an der die Leiterinnen und Leiter der Auslandsbüros der Stiftung teilgenommen haben. Wir formen gerade ein Netzwerk von Partei, den Fraktionen in Bundestag und Europaparlament, den Landtagsfraktionen und dem politischen Umfeld der LINKEN, also den Nichtregierungsorganisationen und Soligruppen. Dabei ist es unser Ziel, Kooperationen zu verbessern und uns in der Stiftung weiter zu qualifizieren.

Was können die Stiftung und speziell der Auslandsbereich dafür leisten?
Die Stiftung, und damit auch der Auslandsbereich, hat zwei Aufgaben: Einmal soll sie Thinktank sein, das heißt, sie soll Input geben können sowohl für die Partei als auch die Fraktionen oder für linke Analyse und Theoriebildung allgemein. Und zwar im Sinne von Strategieentwicklung und Hilfestellung für Kontakte zu linken Theoretikern oder Aktivisten in den jeweiligen Regionen. Auf der anderen Seite steht natürlich die praktische Politik unserer Außenbüros, da sind wir so etwas wie linke Botschaften. Das heißt auch, vermitteln zu können. Nicht umsonst haben wir zum Beispiel in der Konfliktregion Nahost ein Büro in Tel Aviv und eines in Ramallah, die zudem gut miteinander arbeiten. Es ist eben auch unsere Funktion, Brücken zu bauen oder im Friedensprozess Unterstützung zu geben, mit Kontakten und mit Konzepten. Dort, wo der Dialog unter den Linken teilweise nicht möglich ist, wollen wir mit inhaltlichen Angeboten einen solchen befördern. Das haben wir zum Beispiel am Rande unserer Tagung mit der Unterstützung einer Veranstaltung zum Nahostkonflikt in Brandenburg getan.

Heißt das, dass sich die Auslandsvertretungen nicht nur als Denkfabriken verstehen, sondern vor Ort auch in die reale Politik eingreifen?
Die Außenbüros haben in ihren Regionen eigene Kontakte. Das kann zu Gewerkschaften sein, zu Regierungsvertretern oder Oppositionellen, das kann zu Nichtregierungsorganisationen sein oder zu politischen Theoretikern sowie bekannten Persönlichkeiten. Und sie können dort Hilfestellungen geben für diejenigen, die in der Politik tätig sind. Insofern ist das schon ein ganz praktisches Handeln. In direkte Regierungs- oder Parteipolitik mischen wir uns nicht ein.

Schaut man sich die Auslandsbüros an, die die Stiftung derzeit hat, liegt der Schwerpunkt offensichtlich auf dem Entwicklungsländerbereich.
Das ist vorgegeben durch die finanziellen Mittel, die wir für diese Büros zur Verfügung haben. Die Mittel für die politischen Stiftungen in Deutschland werden entsprechend der politischen Erfolge der jeweils nahestehenden Partei nach einem bestimmten Schlüssel aufgeteilt. Wir freuen uns, dass wir im Jahre 2011 durch die Erfolge der Partei DIE LINKE in etwa das doppelte Finanzvolumen von dem haben werden, was wir im Jahre 2008 hatten. Aber diese Gelder stehen für Projekte zur Verfügung, die im Bereich desjenigen Ministeriums liegen, das die Mittel bereitstellt. In unserem Fall ist das hauptsächlich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das BMZ, somit werden Vorhaben in den Entwicklungsländern finanziert. Das Geld kann nicht für politische Bildungsarbeit in Deutschland eingesetzt werden. Das ist ein großer Nachteil. Denn es ist wichtig, dass das, was in den jeweiligen Weltregionen gemacht und gedacht wird, unsere politische Arbeit in Deutschland mitbestimmt. Über diese Frage stehen wir gerade im Dialog mit dem BMZ.

Es wäre auch gut, wenn wir mehr Mittel hätten für die Arbeit zum Beispiel in den verschiedenen Ländern der EU. Hier müssen wir sehen, ob wir uns in den nächsten Jahren neue Geldgeber erschließen können. Ich halte die Arbeit in Brüssel für äußerst wichtig, weil die EU-Politik inzwischen nahezu alle internationalen und nationalen Bereiche durchdringt und vielfach eher als die nationale Politik auch bestimmt.

In Planung ist aber auch die Eröffnung eines Stiftungsbüros in New York ...
Ja, wir planen ein Büro in New York, mit zwei Blickrichtungen: Einmal wollen wir eine engere Zusammenarbeit mit der amerikanischen Linken, weil die Kontakte zu den progressiven Kräften in den USA ebenso rudimentär sind wie die Analysen zur Entwicklung der dortigen Linkskräfte. Zudem ist die Rolle der USA weltpolitisch so bedeutend, dass man genau diese Zusammenarbeit forcieren sollte. Der andere »Teil« des Büros soll vor allem zur Beobachtung der Arbeit der UN und auch dazu dienen, zu analysieren, welche politischen Weichenstellungen zwischen USA und EU vorgenommen werden, um daraus mögliche Handlungsoptionen für die Linke in Deutschland und der EU abzuleiten. Ich hoffe, dass wir unser New Yorker Büro im Jahr 2012 eröffnen können.

Ein Thema der Beratungen des Auslandssektors war Parteiferne und Parteinähe. Wie fern oder wie nah muss eine außenpolitische Denkfabrik sein?
Natürlich wächst mit den Erfolgen der LINKEN auch die Bedeutung der Luxemburg-Stiftung als parteinahe Organisation. Es ist aber wichtig und durch die Zuwendungsbedingungen vorgegeben, dass die Stiftung eine Eigenständigkeit hat, um eben unabhängig zu bleiben und neue Impulse geben zu können. Nehmen wir als Beispiel die politische Diskussion um Zentralasien oder die Rolle Chinas in der geostrategischen Situation aus deutscher Sicht. Da gibt es nur wenige, die sich mit diesen Regionen und ihren Problemen beschäftigen. Und ich denke, da kann die Stiftung eben auch einen Beitrag leisten, dass die linke Diskussion breiter und realistischer wird. Jeder in der Partei und den Fraktionen hat die Freiheit, mit dem Input, den wir beispielsweise in diesen Fragen liefern können, umzugehen, wie sie oder er es möchte. Wir erleben derzeit, dass das Verständnis für eine unabhängige linke Stiftung wächst, weil sie gerade in ihrer Unabhängigkeit der Linken als Ganzes – parteinah und parteifern – nützt. Unsere Arbeitsdevise ist »Autonomie in Solidarität«.

Sind in der Vergangenheit die Potenziale und Kompetenzen, die im Auslandsbereich der Stiftung gegeben sind, von der Partei oder von der linken Bewegung nicht so genutzt worden, wie es möglich gewesen wäre?
Die Stiftung ist aus kleinen Anfängen gewachsen. Zunächst mussten Strukturen geschaffen und diese auch finanziell bewältigt werden. Wir sind jetzt in einer Situation angekommen, in der man sich aufgrund der gewachsenen gesellschaftlichen Bedeutung der LINKEN überlegen muss, wie wir den Auslandsbereich zukunftsfähig gestalten. Also: Wir stehen vor neuen Herausforderungen, und denen stellen wir uns – unsere Jahrestagung der Auslandsmitarbeiter und -mitarbeiterinnen war hierzu der Auftakt.

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