9:29 Minuten Beifall für ungedeckte Zukunftswechsel

CDU-Parteitag in Karlsruhe: Chefin Angela Merkel spornte Delegierte an und empörte sich auch über eine Kolumne im ND

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Angela Merkels Botschaft an die rund 1000 Delegierten des CDU-Parteitages in Karlsruhe war letztlich simpel: »Wir sind wir, die CDU! Wir können das ...« Die Opposition dagegen mache nur »Mist – und das mit viel Engagement«. Ob diese simple Sicht wohl reicht für Gemeinsamkeit in Partei, Land und Regierung?

Der Parteitag der Christlichen Demokraten tagt in einer Messehalle. Mehr Schein als Sein ist dort oft die Regel. Und so hat die CDU-Chefin ihre Partei und deren Regierungsarbeit präsentiert. Der Lohn: 9 Minuten und 29 Sekunden Beifall mit einigen »Vorhängen«, zu denen die Chefin die CDU-Spitzenkandidaten für die sechs kommenden Landtagswahlen an die Rampe rief.

Wie fortgeblasen schienen alle düsteren Wolken, von wegen miesem Regierungsstart und schlechter Umfrageergebnisse. Vorwärts immer, rückwärts ... Na ja, das war einmal ein anderer altgedienter deutscher Parteichef. Merkel wies ihre Anhänger an: »Werft die Prognosen in den Papierkorb!«

Zu Beginn ihres 75-minütigen Beitrages meinte die Hauptrednerin des Kongresses, dass sich die Politik der schwarz-gelben Koalition sehen lassen könne. »In der Sache« jedenfalls, »nicht immer im Stil.« Dann packte sie das Thema Steuersenkungen und -erleichterungen aus, für die sich die CDU-Mittelstandsvereinigung ausgesprochen hatte. Nichts spiele sich da ab, denn zuerst stünden Haushaltkonsolidierung und Generationengerechtigkeit an. Ausdrücklich dankte sie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble für seine Arbeit.

Der Fortschritt und der Juchtenkäfer

Nächster Punkt im Manuskript: Die Wirtschaftskrise und der Euro, der weiterhin gefährdet sei. Es habe sich gezeigt, dass nicht derjenige am klügsten agiere, der am schnellsten sei. Letztlich habe die Regierung mit den Konjunkturpaketen, der Beteiligung am Euro-Rettungsschirm und an der Hilfe für Griechenland richtig gehandelt. »Kleinmut ist kein guter Ratgeber, wenn es um etwas Großes geht.« Sogar US-Präsident Obama bekam sein Fett ab, weil er deutsche Exportüberschüsse kritisiert. Merkel wetterte, wer nicht wolle, dass gute Produkte »Made in Germany« exportiert werden – müsse eben selbst bessere produzieren.

Um etwas Großes, Ertragreiches geht es auch bei der Energiepolitik. Da müsse man Ökologie und Ökonomie zusammenbringen, neben den erneuerbaren Energien brauche Deutschland Brückentechnologien. Sprich Atomkraft. Die CDU scheue sich nicht, Unpopuläres durchzusetzen, sagte Merkel und kam so rasch auf Stuttgart 21 zu sprechen. 17 000 neue Arbeitsplätze bringe das Projekt, versprach sie. »Juchtenkäfer und Kammmolche dürfen nicht herhalten, solche Projekte zu verhindern.« An dieser Stelle folgte ein Werbeblock für Schwarz-Gelb: Eine starke christlich-liberale Koalition sei alternativlos. Schwarz-Grün oder gar die schwarz-gelb-grüne Jamaika-Koalition seien »out«, weil »Illusionen« und »Hirngespinste«.

Rettung vor Rot-Rot-Grün versprochen

SPD und Grüne würden nach der Wahl »2013 keine Sekunde zögern, mit den LINKEN zusammenzugehen«. Das zu verhindern, sei ein Auftrag von historischer Tragweite. »Wir müssen dem Land Rot-Rot-Grün ersparen«, sagte Merkel bedeutungsschwanger.

Die SPD bezog dann noch Prügel wegen ihres Umgangs mit Hartz IV, das sie doch selbst erfunden habe. Den Grünen warf Merkel Beliebigkeit vor. Die CDU dagegen, die könne es richten: Hartz IV dürfe nur eine Brücke zur Beschäftigung sein, »Arbeit für alle ist keine Utopie«, ihr gehe es um »jeden Einzelnen«, betonte Merkel, erfand neue Chancen für Menschen über 50 und Langzeitarbeitslose. Jeder Kranke bekomme dank Gesundheitsreform »die Versorgung, die er braucht«, Alleinerziehenden winkte sie zu mit Kinderbetreuungs-Phrasen.

Dann eine neue Zielzuweisung. Im Visier – Gewerkschaften. Merkel hatte ND gelesen und darin eine Kolumne von ver.di-Chef Frank Bsirske entdeckt, in der er über politische Streiks nachdachte: Ausgerechnet in der »ehemaligen Haus- und Hofpostille des SED-Regi– mes« – Merkel außer sich.

Nach und nach arbeitete sie alle Themen der Drei-Säulen-CDU-Doktrin ab. Nach der »Wirtschaft« kam sie – bevor sie sich der »Gemeinsamkeit« zuwandte –, auf »Sicherheit« zu sprechen, dankte fast überschwänglich Polizisten, die das Gewaltmonopol des Staates sichern und verteidigte die Forderungen von Innenminister Thomas de Maizière nach Vorratsdatenspeicherung und Visa-Warndatei.

Es folgte ein Dank an alle Soldaten, »die nicht mehr und nicht weniger tun, als unsere Freiheit zu sichern«. Der Begriff Krieg fiel nicht, wohl aber der der Wehrpflicht, die man aussetzen, aber im Grundgesetz belassen wolle. Denn was wisse man schon, wie die Sicherheitslage in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren aussieht. Nicht nur, weil Wehrdienst und Zivildienst einander bedingen, werde die Familienministerin in Kürze ein Konzept für freiwillige Dienste vorlegen.

Da die Delegierten nahezu jeden Absatz von Merkels Rede mit Beifall quittierten, zog es sich ein wenig, bis Merkel auf Gemeinsamkeit in der Gesellschaft zu sprechen kam. Stichworte: Familie, Jung und Alt, Ehrenamt. Und Integration. Die Chefin »der Volkspartei der Mitte« erinnerte an »christlich-jüdische Tradition« und gebot, dass alle Einwanderer die deutschen Gesetze akzeptieren müssten.

Die Einladung an alle könne jedoch nur auf Basis des christlichen Menschenbildes gelingen, das jeden Menschen als einzigartig verstehe. Die offensive Parteitagslosung lautet: »Wir haben nicht zu viel Islam, sondern zu wenig Christentum.« Darum, so die Kanzlerin: »Lassen Sie uns mehr bekennen, dass wir Christen sind.«

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