Im Dienste der Stauffenbergpartei

Das Tagebuch des Jeremy-Maria zu Hohenlohen-Puntiz – 21. Folge

  • Lesedauer: 3 Min.
Was letzte Woche geschah: In seiner Verzweiflung über die Zukunft der Stauffenbergpartei erhofft sich Jeremy mit der Hilfe eines Mediums Klarheit und bleibt doch verwirrt zurück. Ist er selbst längst das Opfer einer Verschwörung geworden?
46. Kalenderwoche 2010: Im Dienste der Stauffenbergpartei

Spät kehre ich aus Karlsruhe zurück. Wärmflasche, heiße Stutenmilch und Valium, dann ab ins Bett. Aber ich finde keinen Schlaf. Zu schrill erklingt die Symphonie, die mir das Unterbewusstsein zu den Bildern der letzten Tage spielt.

Merkel. Das böse Funkeln in ihren Augen, als sie, das Abstimmungsergebnis erfahrend, mich in der Menge erblickt. Weiß sie von der Stauffenbergpartei, von der Verschwörung?

Darauf Schäubles Gesicht, eine alemannische Fastnachtsfratze, die mir die Zunge entgegenstreckt. Ich habe ihm den Rücktritt empfohlen, nach der konservativen Revolution könnte er in unseren Reihen unverbraucht durchstarten, aber er will noch warten. CDU, CDU, CDU – galoppiert mein Herz und findet keine Ruh.

Mehr Valium. Mein Hausvorrat ist aufgebraucht. Wie schön, dass Roland vor der Rückfahrt eine neue Packung besorgt hat, ich finde sie in meiner Jackentasche. Merkwürdig verdellt, Schmuggelware wahrscheinlich, aber wirken wird es allemal.

Sogleich werden die Bilder angenehm: Ursel, die schönste aller Kronprinzessinnen, nimmt nach der Wahl zur Unionsvizevorsitzenden meinen Blumenstrauß entgegen. Bei der Umarmung verspricht sie mir, Wulff eine Liebesnacht zu schenken, damit er das Gesetz zur Laufzeitverlängerung doch unterschreibt. Es folgt Volker Bouffiers Siegeslächeln. Wie ein knallbunter Luftballon steigt es auf und verschwindet im blauen Novemberhimmel. Aber da, Gewitterwolken, Blitze, Donnergrollen. Es ist Thor, der seinen Hammer schlägt. In welch seltsamer Aufmachung der nordische Gott wütet. Feucht glänzt das nach hinten gekämmte Haar. Auf der Nase trägt er eine Brille, ich kenne diese Brille, es ist Kalles.

Thor und Kalle sind identisch, ein Sinnbild meiner Angst vor dem nahenden Parteitag der Stauffenbergpartei. Mir wird speiübel, Magenkrämpfe, jäh richte ich mich auf. Etwas stimmt nicht mit dem Valium. Was tun? Ins Krankenhaus kann ich nicht. Auch wenn Schwarz-Gelb mit der Gesundheitsreform den rechten Weg eingeschlagen hat, im medizinischen Notfall herrscht die widerlichste Gleichmacherei. Der liebeskranke Adelige, der sich im ehrenhaften Duell lebensbedrohliche Verletzungen zuzog, landet auf dem selben OP-Tisch wie das fettleibige Prekariatsbalg, das sich betrunken am Couchtisch gestoßen hat.

Der Lebenswandel des Pöbels, geprägt von hohem Fernsehkonsum, einer Vorliebe für Gezuckertes und Gepökeltes sowie mangelhafter Körper- und Sexualhygiene, hat das Gesundheitssystem kollabieren lassen. Jeder Klasse ihre Kasse. Je niedriger der Stand, desto höher der anteilsmäßig zu entrichtende Kassenbeitrag. So weit so gut. Doch was nützen Einzelzimmer und Chefarztbehandlung, wenn man am Ende doch unter dem selben Dach stirbt. Nein, niemals ins Krankenhaus.

Dennoch brauche ich Hilfe. Im Mund der bittere Geschmack eines Toxikums. Soll ich Roland anrufen? Aber nein, wenn er es war, der mich vergiftet hat, wäre er der Letzte, den ich bitten sollte. Ursel? Die steht auf Kalles Seite. Renate? Nicht zu erreichen. Frau Elster? Immer noch in der Psychiatrie. Jauch ... Jauch muss mir helfen.

Jauch hebt sofort ab, aber er lässt mich nicht zu Wort kommen: »Jetzt haben wir ihn! Wowereit in einem Yuppie-Szene-Lokal, in seiner Hand ein großes Bier, das mindestens drei Euro gekostet hat.« Als ich etwas erwidern will, wird es schwarz.

Der satirische Tagebuchroman des konservativen Verschwörers erscheint jeweils in der Mittwochausgabe des ND. Die nächste Folge erwarten wir am 24. November 2010.

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