- Wirtschaft und Umwelt
- 50 Jahre LPG
Neubauern und Landarbeiter - die ersten LPG-Gründer in der DDR
Hilfe für Bauern, die auf »völlig freiwilliger Grundlage« zusammenarbeiten
So ganz spontan kam dieser Besuch bei Paul Scholz nicht zu Stande. Seit ihrer Unterredung mit J.W. Stalin Anfang April und dessen Empfehlung, in der DDR Produktivgenossenschaften zu bilden, beschäftigte sich die Führung der SED eingehender mit dieser Frage. Da klare Vorstellungen über die konkrete Gestalt der LPG fehlten, fuhren im Mai Walter und Lotte Ulbricht, Paul Scholz, Erich Knorr, stellvertretender Generalsekretär der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) u.a. nach Ungarn, um sich über die dortigen Genossenschaften zu informieren. Eine andere Gruppe besuchte Polen. Die Erfahrungen gingen in den Beschluss des Politbüros beim ZK der SED vom 3. Juni zur Förderung von LPG ein. Dieser regelte vor allem organisatorische Fragen und legte fest, dass es keinesfalls einen Wettbewerb zur Gründung von LPG geben sollte. Das alles deutet darauf hin, dass die Kollektivierung von der SED nicht langfristig vorbereitet worden war und auch nicht eilig durchgezogen werden sollte.
Kurz darauf suchten Mitarbeiter des ZK der SED einige Dörfer auf, von denen bekannt war, dass Bauern seit längerem verschiedene Formen der Gemeinschaftsarbeit anwandten. Am 5. Juni diskutierten zwei Vertreter des ZK mit Neubauern in Merxleben über die Gründung einer LPG. Hier hatten Ende 1950 bereits 22 Neubauern eine so genannte Ablieferungsgemeinschaft gebildet, die allerdings im Mai 1951 wieder aufgelöst werden musste, da die Zeit für einen solchen Schritt noch nicht reif sei. Ein Jahr später hätten sich die Bedingungen geändert, erklärten die Abgesandten des ZK im Juni 1952. Am 8. Juni gründeten 23 Neubauern in Merxleben die erste LPG der DDR.
Nicht spontan, aber auch nicht geplant
Noch im Juni initiierten Mitarbeiter der Abteilung Landwirtschaft des ZK weitere Beispiele für die Bildung von Genossenschaften. Einerseits entstanden die ersten LPG nicht spontan, andererseits informierte das Politbüro die Bezirks- und Kreisleitungen der SED erst kurz vor Beginn der 2. Parteikonferenz (9. bis 12. Juli 1952) über die neue Linie der Agrarpolitik. Die Verkündung des Aufbaus des Sozialismus in der DDR war eine Reaktion auf die Verschärfung der internationalen Lage im Frühjahr 1952. Diese fand ihren Ausdruck in der Ablehnung des sowjetischen Vorschlags, Viermächte-Verhandlungen über einen Friedensvertrag mit ganz Deutschland zu führen, und in der Einbeziehung der BRD in das westliche Bündnissystem. Die SED handelte nach Abstimmung mit der Sowjetunion, obwohl deren zur Parteikonferenz eingeladene Delegation an dieser nicht teilnahm.
Wesentlicher Beschluss der 2. Parteikonferenz war die so genannte sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft. Die Konferenz sagte jenen Landarbeitern und Bauern, die sich auf »völlig freiwilliger Grundlage« zu Produktionsgenossenschaften zusammenschließen, Hilfe zu. Als Perspektive für die individuell wirtschaftenden Klein- und Mittelbauern benannte sie, unter Leitung der VdgB die gegenseitige Hilfe weiterzuführen.
Angesichts des internationalen Trends zur Konzentration der Produktion sah die SED, auf Erkenntnissen von Engels und Lenin fußend, in Produktionsgenossenschaften die für die Bauern am besten geeignete Form des landwirtschaftlichen Großbetriebes. Der in die Genossenschaft zur Nutzung eingebrachte Boden blieb weiterhin Privateigentum des Genossenschaftsbauern. Drei Typen von LPG unterschieden sich im Grad der Vergesellschaftung der Produktion und in der Verteilung der Einkünfte. Im Typ I wurde nur der Boden eingebracht, im Typ II dazu die Zugkräfte - Pferde und Maschinen -, im Typ III auch das Vieh. Im letzteren behielt der Bauer bis zu 0,5 Hektar Land für die individuelle Hauswirtschaft.
Den jungen Genossenschaften wurde im Rahmen des volkswirtschaftlich Möglichen Unterstützung zugesagt. Dazu gehörten die bevorzugte Betreuung durch die Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS) zu niedrigem Tarif, die vorrangige Belieferung mit Saatgut und Mineraldünger, die Herabsetzung des Ablieferungssolls, Steuerermäßigungen und Gewährung von vorteilhaften Krediten.
Zu den ersten Mitgliedern der LPG gehörten überwiegend Neubauern. Viele von ihnen hatten als ansässige oder umgesiedelte Industriearbeiter Land durch die Bodenreform erhalten und zeigten sich dem Neuen gegenüber aufgeschlossen. Andere Neubauern entschieden sich aus ökonomischen Gründen für die LPG, die sie als Ausweg aus schwieriger Lage sahen. Genossenschaften wurden auch von Landarbeitern verlassener bzw. als devastiert erklärter Großbauernhöfe gegründet.
Altbauern mit deutlicher Ablehnung
In die ersten LPG traten nur wenige Altbauern ein. Mit ihrem ausgeprägten Eigentumssinn, ihrem traditionellen Verständnis von bäuerlicher Arbeit und ihrer meist gesicherten ökonomischen Lage standen sie der Genossenschaftsbewegung überwiegend ablehnend gegenüber.
Ende 1952 bestanden, trotz Anfeindungen und Sabotageakten, 1906 auf freiwilliger Basis gegründete LPG mit 37 000 Mitgliedern. Zu über 90 Prozent gehörten sie den Typen I und II an. Das von der 2. Parteikonferenz angestrebte Ziel, Bauern in der niedrigsten, ihre Interessen am stärksten berücksichtigenden Form zu vereinen, war damit erreicht. Über 90 Prozent der Mitglieder waren bäuerlicher Herkunft, die anderen Landarbeiter. Insbesondere in den Jahren 1953 und 1959/60 belasteten stalinistische Verzerrungen die Genossenschaftsentwicklung. In der Folge kam es zu Verzögerungen bei der Aufnahme der genossenschaftlichen Arbeit; ebenso behinderten umfangreiche Produktionsumstellungen einen schnellen Aufschwung. In der zweiten Hälfte der 60er Jahre war jedoch die Integration der Genossenschaftsbauern in die neue Betriebsform gelungen.
Nach 1990 erwies sich die Landwirtschaft im Osten als der stabilste Wirtschaftsbereich. Die Mehrheit der Bauern blieb der gemeinschaftlichen Arbeit treu. Agrargenossenschaften und GmbH sowie Personengesellschaften bewirtschaften heute rund drei Viertel der landwirtschaftlichen Flächen in Ostdeutschland. Die genossenschaftlichen Großbetriebe haben ihre Zukunftsfähigkeit bewiesen.
Die Autorin ist Agrarhistorikerin
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