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Kodderschnauze im Schmelztiegel

Kumpel in Uniform oder Wie das »Großstadtrevier« zu einem TV-Dauerbrenner wurde

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.

Stets korrekt, dabei jedoch locker, beherzt zupackend statt bloß brutal, nicht launisch, sondern mitfühlend, zutiefst bodenständig, nie arrogant und immer ein Ohr für die Menschen: so sieht der ideale Schutzmann aus. Und keiner verkörpert ihn besser als Jan Fedder samt Kollegen im »Großstadtrevier«. Wer ab Montag die 24. Staffel der Vorabendserie anschaltet, hält die Eigenreklame der Polizei vom Freund und Helfer nicht für eine Verklärung guter, alter Zeiten. Sie wird zur Tatsache.

Denn der Polizeialltag mag ja anders aussehen; mehr Frust als Lust bei löchriger Aufklärungsrate. Doch während all die Mordfälle bei »Derrick« bis »Monk« seit jeher das Gegenteil suggerieren, spielen Kapitalverbrechen im »Großstadtrevier« wie im echten Leben kaum eine Rolle. Die bürgernahen Beamten auf Wache 14 ermitteln lieber seit einem Vierteljahrhundert im Milieu Klein- bis Mittelkrimineller. Und das sehen Montag für Montag zwischen Alpenrand und Meeresküste, zwischen Rhein und Oder mindestens 3,5 Millionen Menschen – die unentwegten Wiederholungen in den Dritten Programmen nicht eingerechnet.

Das hat natürlich auch mit dem Drehort zu tun. Während sich das schillernde München, das gediegene Düsseldorf oder das reiche Stuttgart aus Sicht vieler Produzenten eher für Familiengeschichten und Liebesfilme eignet oder Ruhrgebiet und Ostdeutschland mehr für die schweren Sozialdramen, taugt die Hafenstadt Hamburg mit ihrer Mischung aus Rotlicht und Fernweh eben besser fürs Kriminalistische. »Hamburg«, sagt Frank Vockroth, der bei »Notruf Hafenkante« die ZDF-Antwort auf Jan Fedder spielte, »ist an einem Punkt Weltstadt und 100 Meter weiter Kleinstadt«. Der ideale Schmelztiegel also, so kompakt, dass Einsatzwagen selbst kilometerlange Strecken zwischen Schiffsdock, Altbauquartier und Vorortsilo in Fernsehsekunden schaffen. Und auch die regional übliche Kodderschnauze eines Jan Fedder scheint prädestiniert fürs Ermittlungsmetier – das belegt nicht nur Hannelore Hoger als »Bella Block«.

Es war Jürgen Roland, der einst die hanseatische Krimitauglichkeit entdeckte. Von seinen Dokudramen »Der Polizeibericht meldet« in den Fünfzigern über die »Stahlnetz«-Reihe und mehrere Kinofilme der Sechziger bis zum »Großstadtrevier« machte er seine Heimatstadt zum Drehplatz – und den Durchschnittsbullen zum TV-Star. »Es ist höchste Zeit, die Schutzpolizei zu zeigen, die die Drecksarbeit macht«, rechtfertigte er die Streifenarbeiter früher »Tatorte« und etablierte mit Brockmöller/Stöver das ottonormalste Ermittlungsteam der Reihe. Sie hätten auch ins »Großstadtrevier« gepasst.

Denn darin schuf Roland die robusten Gegenstücke zum smarten Hauptabendkommissar, der die Uniformträger eher abschätzig betrachtet. Den Schutzmann mit Lokalkolorit gab es lange nur im Regionalprogramm; erst die Kiezwache verhalf ihm am wichtigen Sendeplatz vor 19 Uhr zum Durchbruch – mehr aber noch seinen Kolleginnen. Schon im Titel stellte die erste Folge erstaunt »Mensch, der Bulle ist ’ne Frau« fest. 1986 war das auch auf St. Pauli die Ausnahme. Im Umfeld des angeblichen »Rotfunk« NDR durfte zudem wie nirgends Solidarität mit Täterbiografien geübt werden. Das macht bis heute Schule.

Im »Großstadtrevier« ging der Entzauberung des Verbrechens durch forensische Formate wie »C.S.I.« so gesehen eine des Verbrechers voraus. Schließlich war der Hauptdarsteller Jan Fedder in seiner Jugend selbst ein schwerer Junge. Auch sein Dirk Matthies trat vor seinem Dienstantritt in Folge 37 als windiger Typ auf und nahm es auch danach mit dem Recht auf Streife gern mal ungenau, wenn er ihm damit zum Durchbruch verhelfen kann. »Wir beide haben das Bedürfnis, nicht der Norm zu entsprechen«, sagt der »Hamburger Jung«, aufgewachsen nahe der Davidwache, und klingt dabei wie Dirk, sein Alter Ego.

Im »Zuge des Werteverfalls« aber lässt er seine Figur dennoch Werte hochhalten. Sein Fernsehrevier sei ein bisschen heile Welt, »aber warum darf's die nicht geben?« Junge Intensivtäter, die in der U-Bahn Leute verdreschen, habe Dirk Matthies ja lange vor der aktuellen Debatte verhaftet. Und Todesfälle sind der Kiezwache so vertraut wie Missbrauchsfälle. Fedder hält es da mit Jürgen Roland: Drehbücher, riet der Krimiveteran seiner Zunft, »liegen auf der Straße«. Gerade in einer Stadt wie dieser. Fedder sagt: »Manchmal müssen wir nur nachdrehen.«

In der neuen Staffel tut es Deutschlands dienstälteste Polizistenserie nun erstmals seit vielen Jahren ohne Till Demtrøder und Peter Heinrich Brix, dafür mit dem gewohnten Staraufgebot von Axel Milberg über Oliver Stritzel bis Uwe Bohm in den Episoden. Und mit Dorothea Schenck als Anna Bergmann, der neuen an Dirks Seite. Sie macht das halbe Dutzend Beifahrerinnen voll, ist aber endlich mal zu jung, um den 55-Jährigen anzuhimmeln. Das Team ändert sich, die Inhalte weniger. In Folge 295 geht es zum Auftakt um einen Spielhallenüberfall, K.O.-Tropfen, Mietschuld und einen neuen Kollegen.

Und zum Jubiläum fünf Episoden später, ausgestrahlt im Januar, darf die Wachenbesatzung sogar mal richtig die Sau rauslassen: mit einer »High Noon«-Version in »Kieztown«, Jan Fedder als Sheriff und Martin Semmelrogge als Revolverheld. So einen Unsinn muss sich eine TV-Serie erstmal leisten können. Das »Großstadtrevier« kann. Wahrscheinlich noch weitere 25 Jahre.

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