Axjonow, Bulgakow und die anderen

Margit Bräuer und Leonhard Kossuth erinnern sich – mit berechtigtem Stolz

  • Roland Opitz
  • Lesedauer: 4 Min.

Fast am gleichen Tag erschienen zwei bemerkenswerte Bücher: Leonhard Kossuth und Margit Bräuer schrieben Autobiografisches, und das bedeutet für beide einen Rückblick auf ihre Beziehungen zu russischen Schriftstellern und zu Autoren der anderen multinationalen Buchwelt der UdSSR. Der eine war von 1957 an Cheflektor am Verlag Kultur und Fortschritt / Volk und Welt, die zweite leitete seit 1964 die Lektoratsgruppe Slawistik im Aufbau-Verlag, und beide wurden mit der »Wende« abgewickelt.

Das böse Ende ihrer Tätigkeit hebt aber ihre Leistungen nicht auf, im Gegenteil: Selbstbewusst und voller Stolz berichten sie von den lebendigen Kontakten zu den Schreibenden, und man hat den Eindruck, dass die zwanzig Jahre seit den großen Änderungen notwendig waren, ihre Leistungen im Nachhinein zu bestätigen. Auch wenn es gegenwärtig wenig Interesse für die »Ostliteraturen« gibt, so bleibt doch die große Geschichte der engen Beziehungen, der Verbundenheit mit dem kulturellen Leben des anderen Landes.

Beide berichten von engen Bekanntschaften und gar Freundschaften mit herausragenden Autoren. Margit Bräuer traf »ihren« Autor Sluzkis zum ersten Mal hoch über den Wolken, in einer TU-104, sie verstanden sich sofort und realisierten über die Jahre ein Buch nach dem anderen. Sie weiß von Jewgeni Jewtuschenko als dem fröhlichen Alleinunterhalter in seiner ungewöhnlichen Moskauer Wohnung zu berichten und auch davon, wie Wassili Axjonow von seiner Frau vor einer riskanten Konfrontation mit der Moskauer Zensur behütet wurde, indem sie ihm eine plötzliche Dienstreise zu »seinem« Aufbau-Verlag und seiner dortigen Lektoratschefin organisierte. »Hätte ich die Wahl«, lesen wir, »würde ich mich noch einmal für diesen Beruf entscheiden.« »Emmilein« – so durfte Frau Dr. Bräuer von Freunden genannt werden – tat vieles für einen auch privaten Kontakt, es gab Einladungen in die Moskauer Familien und auch umgekehrt in die Berliner Wohnung.

Leonhard Kossuth tritt nicht weniger stolz auf. Im nun schon hohen Alter schaut er auf eine lange, ungewöhnliche Biografie zurück. »Geboren in Butscha, aufgewachsen in Wien, Lebenszentrum seit Jahrzehnten Berlin, Mutter – Ukrainerin, Vater – Österreicher« steht da, und das umfangreiche Buch lädt zu interessanten Rückblicken ein, ist ausführlich mit Familiengeschichte und mit vielen Fotos angereichert. Butscha ist eine Stadt in der Nähe von Kiew, hatte sich ursprünglich als Datschen-Siedlung entwickelt; und nahe bei dem bescheidenen Häuschen der Kossuths stand die Sommerwohnung der Familie Bulgakow. Kossuth hat mit seinem Verlag und zusammen mit seinem Freund Ralf Schröder später Bulgakows Werke herausgebracht. Er hat auch im Jahr 2001 das literarisch anspruchsvolle Tagebuch seiner früh verstorbenen Mutter in ukrainischer und deutscher Sprache ediert und dem dankbaren ukrainischen Publikum vorgestellt.

Er hatte schon vor acht Jahren in einem lebendigen, faktenreichen Buch eine Geschichte des Verlags Volk und Welt, eines »legendären Verlags«, vorgelegt, wo er auch von den vielen persönlichen Begegnungen und Freundschaften zu den Schriftstellern der UdSSR berichtet hat. Das wird in der neuen »Familien-Saga« erweitert und vertieft. Der Hauptakzent liegt nun auf der gegenwärtigen Fortsetzung der Arbeit mit den Nichtrussen. Jetzt führt Kossuth gemeinsam mit der Botschaft Kasachstans in Berlin die früher schon geplante »Kasachische Bibliothek« fort; er kann von Reisen und neuen literarischen Entdeckungen in Georgien und in den baltischen Republiken berichten.

Eine gigantische Arbeit steckt in diesen (weitgehend erfolgreichen) Bemühungen beider hier besprochenen Verlage, Autoren wie den Kasachen Nurpeissow, den Esten Jaan Kross, den Tschuktschen Rytchëu in der Literatur unseres Landes heimisch zu machen, was auch Konsequenzen für ihre weitere Verbreitung in Europa hatte. Sowohl Volk und Welt als auch Aufbau bemühten sich hartnäckig und zunehmend stärker, die fremden Texte nicht nur über das Russische zu verdeutschen, sondern aus ihren Nationalsprachen. Das sind bleibende Leistungen, die auch durch keine politischen Wandlungen annulliert werden. Charlotte Kossuth, die Ehefrau unseres Autors,und auch Kristiane Lichtenfeld, Renate Reschke und andere sind bis in die Gegenwart dieser Aufgabe treu geblieben.

Weder Margit Bräuer noch Leonhard Kossuth erzählen von konfliktlosen Wegen zu ihren Leistungen und ihren literarischen Freundschaften. Im Gegenteil: Immer bedurfte es mancher Anstrengung, gute Bücher zu machen. Wobei es heutige Verleger erstaunen mag, dass beide so gar nichts über Preis- und Absatzprobleme zu berichten haben: Die gab es fast nicht. Stattdessen Sorgen im Umgang mit der Zensur in beiden Ländern: Es gab Verbote, mitunter wurden schon gedruckte Bücher »eingestampft«. Charlotte Kossuth hatte aus nicht ersichtlichen, aus erfundenen Gründen zwanzig Monate Gefängnis zu durchleben. Mehrere Autoren aus der UdSSR erlebten in ihren Familien erschütternde Verhaftungen, Deportationen in die Straflager, Hinrichtungen.

Doch über all diesen bitteren, erschütternden Geschichten steht in beiden Büchern der Stolz, Bleibendes geleistet zu haben, das nicht ignoriert werden kann und ein guter Bestandteil der deutschen Geschichte bleibt.

Margit Bräuer: Der Kreml, Doktor Schiwago und ich. In literarischer Mission zwischen Berlin und Moskau. 160 S., brosch., 19,90 €.
Leonhard Kossuth: Ach, Väterchen! Familien-Saga 1850-2010. 373 S., geb., 35 €. Beide erschienen im Nora-Verlag.

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