Unfreiwilliges Geständnis eines SS-Offiziers

Obersturmbannführer Frank unterschrieb Mordbefehle. Er lebt unbehelligt in Frankfurt am Main

  • Ulrich W. Sahm, Jerusalem
  • Lesedauer: 4 Min.
Obersturmbannführer Bernhard Frank unterzeichnete am 28. Juli 1941 den ersten SS-Befehl zu einem Massenmord an Hunderttausenden Juden. Jetzt ist seine Vergangenheit aufgedeckt worden.
Frank und Gould in »Jediot Achronot«
Frank und Gould in »Jediot Achronot«

Bernhard Frank lebt unbehelligt in Frankfurt am Main. Geboren am 15. Juli 1913, ist er inzwischen 97 Jahre alt. Einen wichtigen Teil seiner Geschichte hatte der frühere SS-Obersturmbannführer nach dem Krieg geheim gehalten. Doch Mark Gould, ein US-Amerikaner, kam ihm auf die Spur. Am vergangenen Wochenende überreichte Gould dem SS-Mann eine Privatklage amerikanischer Juden. Franks Frau verletzte den Amerikaner daraufhin so, dass er im Krankenhaus behandelt werden musste.

In einem Exklusivinterview mit Eldad Beck, Berliner Korrespondent der israelischen Zeitung »Jediot Achronot«, erzählte der 47-jährige Gould, wie er den Mann entlarvte. Gould ist groß, blond und blauäugig und nutzte sein Äußeres, um sich Frank als junger Neonazi zu nähern. Er führte stundenlange Gespräche mit dem SS-Mann und gewann dessen Vertrauen. Einen Teil der Gespräche zeichnete Gould auf Video auf. Zudem überreichte ihm Frank viele Aufzeichnungen: von ihm unterzeichnete Befehle und Tagebücher, sogar Liebesbriefe. So offenbarte Frank nach und nach das Geheimnis seiner SS-Karriere, ohne zu ahnen, dass der US-Amerikaner Material suchte, um ihn zu belasten.

Frank war es Gould zufolge, der das Vokabular erfand, mit dem die SS ihre Verbrechen gegen Juden in der Sowjetunion im Rahmen der Operation Barbarossa umschrieb, um den Mord an Frauen und Kindern im Rahmen der »Sonderbehandlung« der Juden zu vertuschen. Als rechte Hand von SS-Reichsführer Heinrich Himmler war Frank auch verantwortlich für die Verbreitung der Nazi-Ideologie. Er habe als einziger einen Doktortitel an der »Nordischen Akademie« des SS-Schulungszentrums Wewelsburg bei Paderborn erworben.

Himmler hatte Frank in den Kommandostab der SS geholt, wo er während der Operation Barbarossa im Sommer 1941 den ersten Befehl zu einem Massenmord unterzeichnete. Ebenso führte Frank für Himmler ein »Kriegstagebuch«, in dem er alle Informationen über Aktionen der SS sammelte, darunter auch Morde an Juden.

1943 wurde der SS-Obersturmbannführer zum Sicherheitsbeauftragten des Feriendomizils Hitlers, des Berghofs auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden. In den letzten Kriegstagen soll Frank von Hitler den Befehl erhalten haben, Reichsmarschall Hermann Göring zu töten, weil der die Nachfolge Hitlers antreten wollte und angeblich die Kapitulation plante. Frank verhaftete Göring wegen Hochverrats, tötete ihn aber nicht. Bei Kriegsende übergab Frank den Obersalzberg kampflos an die US-Amerikaner. Er blieb ungeschoren und rühmte sich, Göring verhaftet zu haben. Seine Vergangenheit als Schreibtischtäter von Massenmorden wurde erst durch seine ausführlichen Gespräche mit Mark Gould bekannt.

Frank übergab dem Amerikaner etliches belastendes Material und erlaubte ihm, damit zu tun, was er wolle. Gould überprüfte alle Mordbefehle, die Frank unterzeichnet hatte. Der gab allerdings vor, mit seiner Unterschrift nur deren »sprachliche Korrektheit« bestätigt zu haben. Offenbar war es Franks Aufgabe, die Befehle sprachlich so zu formulieren, dass die ideologisch entsprechend vorbereiteten SS-Männer wussten, was sie zu tun hatten. Nach Angaben Goulds handelte es sich um die ersten Akte eines Völkermords durch die SS, noch bevor Juden aus ganz Europa in die Vernichtungslager gebracht wurden. Frank behauptete Gould zufolge, dass die Tötung von Juden notwendig gewesen sei, weil viele unter die Partisanen gegangen seien. Zur Frage, ob das auch für Frauen und Kinder galt, habe Frank schweigend mit den Schultern gezuckt. Gould hatte den Eindruck, dass der SS-Obersturmbannführer letztlich sehr stolz auf seine Taten war, die er 65 Jahre lang verheimlichen musste, um einer Strafverfolgung zu entgehen.

Die israelische Anwältin Nitsana Darshan-Leitner wird zwei jüdische Kläger in einem künftigen Prozess gegen Frank wegen Massenmord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vertreten. Das bestätigte sie am Dienstag in einem Rundfunkinterview. Zugleich erläuterte sie, dass Gould Frank ursprünglich lediglich wegen der Verhaftung Görings befragen wollte. Doch dann habe er bemerkt, dass dessen Unterschrift unter einem Antwortbrief identisch war mit der Unterschrift unter SS-Mordbefehlen, die er kannte. Gould musste nur noch die Fäden zusammenziehen.

Eldad Beck von »Jediot Achronot« sagte auf Anfrage, diese Geschichte sei »absolut glaubwürdig«, denn Frank habe seine Taten in Videoaufnahmen voll bestätigt.

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