Gewaltsames Wahlfinale in Minsk

OSZE-Beobachter: Der Stimmenauszählung nach Präsidentenwahl fehlte es an Transparenz

  • Lesedauer: 3 Min.
Einen Tag nach der Präsidentenwahl in Belarus, der gewaltsame Ausschreitungen im Zentrum von Minsk gefolgt waren, kreidete die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) dem Land ein gravierendes Demokratiedefizit an.

Minsk/Berlin (ND/Agenturen). Bis zu freien Wahlen habe Belarus noch »einen beträchtlichen Weg zurückzulegen«, urteilte die OSZE-Beobachtermission am Montag. Amtsinhaber Alexander Lukaschenko hatte die Wahl am Sonntag nach offiziellen Angaben mit 79,7 Prozent der Stimmen gewonnen. In der Nacht darauf war es in Minsk zu gewaltsamen Zusammenstößen gekommen. Zehntausende Demonstranten protestierten gegen das ihrer Meinung nach gefälschte Ergebnis. Nachdem einige versucht hatten, den Regierungssitz zu stürmen, wobei Fenster und Türen zu Bruch gingen, schlug die Polizei die Proteste gewaltsam nieder.

Dem OSZE-Bericht zufolge verlief der Wahlgang selbst zwar zufriedenstellend, nicht aber die Stimmenauszählung. »Der Auszählung hat es an Transparenz gefehlt«, erklärte der Chef der OSZE-Beobachtermission, Tony Loyd. Die Wahl habe Belarus »nicht den neuen Aufbruch beschert, den es brauchte«. Dies zeige auch die Gewalt gegen Demonstranten. Die Polizei war mit Schlagstöcken und Wasserwerfern gegen die Menge vorgegangen und hatte hunderte Protestierende festgenommen, darunter nach Angaben von Oppositionssprechern auch sieben der neun Gegenkandidaten Lukaschenkos. Zwei Bewerber, Viktor Tereschtschenko und Jaroslaw Romantschuk, distanzierten sich von dem Angriff auf das Regierungsgebäude, der schon vor Tagen geplant worden sei.

Lukaschenko bezeichnete die Demonstranten als »Vandalen«. »Es wird in Belarus keine Revolution geben«, fügte er hinzu. Das staatliche Fernsehen hatte den seit 1994 regierenden Präsidenten bereits am Sonntagabend zum Wahlsieger erklärt. Die Wahlkommission bescheinigte ihm knapp 80 Prozent der Stimmen. Seine wichtigsten Herausforderer, Andrej Sannikow und Wladimir Nekljajew, kamen demnach auf je 6,1 Prozent.

Alexander Milinkewitsch, Herausforderer Lukaschenkos im Jahre 2006, verglich die Proteste mit dem Sturz des kirgisischen Präsidenten Kurmanbek Bakijew im April. Die Demonstranten hätten ein »kirgisisches Szenario« gewollt, sagte er der Nachrichtenagentur AFP. Kandidat Andrej Sannikow hatte im Zentrum von Minsk verkündet: »Hier hat Belarus 1991 die Unabhängigkeit bekommen und heute wird hier Lukaschenkos Diktatur fallen.« Der CDU-Bundestagsabgeordnete Georg Schirmbeck erklärte der »Neuen Osnabrücker Zeitung« noch am Wahltag: »Die Vorwürfe der Opposition, Lukaschenko habe Wahlbetrug begangen, kann ich – so leid es mir tut – so nicht bestätigen.« Wahlbeobachter der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS bezeichneten das Vorgehen der Polizei als »legitim« und die Wahlen als »transparent«.

Namens der Bundesregierung sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin, die Ereignisse seien ein »herber Rückschlag« für die Beziehungen zu Belarus und ließen an eine »weitere Annäherung nicht denken«. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton verurteilte besonders die Festnahme von Oppositionspolitikern. Sie bedauerte, »dass die Ereignisse nicht den relativen Fortschritt widerspiegeln, den wir während des Wahlkampfes gesehen haben«. In einer Erklärung der US-Botschaft in Minsk hieß es, die Vereinigten Staaten seien »besonders besorgt über den exzessiven Einsatz von Gewalt seitens der Behörden«.

Russlands Präsident Dmitri Medwedjew bezeichnete die Abstimmung dagegen als »innere Angelegenheit von Belarus«. Das Land sei einer der Staaten, »die Russland am nächsten stehen, egal, mit welcher politischen Führung«, sagte er in Moskau.

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