Ein neoliberales Märchenbuch

Der Wirtschaftsethiker Ulrich Chiwitt erklärt seine Liebe zum Kapitalismus

  • Alexander Amberger
  • Lesedauer: 3 Min.

Weihnachten ist Märchenzeit. Viele handeln vom Kampf Gut gegen Böse. Auch bei neoliberalen Märchen ist das so: der gute Kapitalismus gegen seine bösen Kritiker. Ulrich Chiwitt hat diese Märchen, bekannt aus Funk und Fernsehen der letzten 20 Jahre, nun in einem Buch zusammengefasst: »Kapitalismus. Eine Liebeserklärung«. Der Autor entwirft darin ein idealisiertes Bild, das alle neoliberalen Totschlagargumente auf 220 Seiten komprimiert. Kürzer schafft das nur die FDP in ihrem Wahlprogramm. Diesen Kapitalismus mit einem funktionierenden Markt, einem Spielregeln setzenden Staat sowie mündigen Konsumenten, die durch ihr Kaufverhalten Demokratie ausüben, gibt es in der Realität nicht. Deshalb wird es von Chiwitt konstruiert, wobei er Kapitalismus, Marktwirtschaft und Demokratie gleichsetzt – dabei ignorierend, dass Demokratie und Marktwirtschaft mindestens zehn Mal so alt sind wie der Kapitalismus.

Der Autor ist Dozent für Wirtschaftsethik. Von der Wirtschaft ohne Ethik, also dem real existierenden Kapitalismus, hat er aber ein sehr naives Bild. Seine hilflosen Versuche, gegen Karl Marx zu argumentieren, scheitern kläglich: So unterstellt er, Marx habe den Kapitalismus fälschlicherweise von einem ökonomischen zu einem politischen Begriff gemacht. Chiwitt hat anscheinend auch noch nie von dessen Wertbegriff gehört, ganz abgesehen vom falschen Arbeitsbegriff, den er ihm unterjubeln will, wenn er schreibt: »Marx hat sich offensichtlich geirrt. Es ist nicht die Arbeit, die den Menschen abhängig und unfrei macht, ihn zum Objekt degradiert und ihn seiner Persönlichkeit und Menschenwürde beraubt, sondern die Arbeitslosigkeit.« Ganz so, als ob Marx nie den emanzipatorischen Charakter der Arbeit gelobt hätte.

Für Chiwitt gibt es denn auch nur zwei Alternativen: guten, freien Kapitalismus und bösen, zentralistischen Staatssozialismus. Alternative Modelle wie Wirtschaftsdemokratie, Ökosozialismus oder Anarchokommunismus werden (bewusst?) übergangen.

Chiwitt versucht, 37 vermeintliche Vorurteile gegen den Kapitalismus mit nichts anderem als Vorurteilen für den Kapitalismus zu widerlegen. Er stilisiert den Kapitalismus zum Opfer, zur Person. Dabei schaffe dieser alles, was wir genießen: Frieden, Wohlstand, Freiheit, soziale und ökologische Demokratie etc. Der Autor erzählt alte neoliberale Märchen: dass Deregulierung Jobs schaffe; dass es den Menschen gut gehe, wenn es der Wirtschaft gut geht; dass der Markt über den Emissionshandel den Klimawandel stoppen könne usw.

Er geht davon aus, dass das Modell des westlichen Kapitalismus auch das Ziel für Entwicklungsländer sein sollte, und ignoriert dabei zwei zentrale Widersprüche: Wenn es keine armen Länder mehr gibt, wer produziert dann noch so billig, dass wir unseren Lebensstandard wahren können? Und wie sieht es mit der Endlichkeit der natürlichen Ressourcen aus? Mit dem Kabarettisten Volker Pispers formuliert: »Wenn alle Chinesen, alle Inder so viele Autos wie wir haben, dann können wir alle noch mal den Zündschlüssel umdrehen, 15 Minuten rumfahren, und dann ist das Öl weg.«

Chiwitts Buch sei lediglich all jenen empfohlen, die aus Überzeugung FDP wählen und Hans Werner Sinn für »Deutschlands klügsten Wirtschafts-Professor« (»Bild«) halten. Alle anderen sollten ihr Geld ganz im angepriesenen Sinne des freien Marktes lieber für ein anderes Buch zum Thema Kapitalismus ausgeben, vielleicht ja eines von Karl Marx.

Ulrich Chiwitt: Kapitalismus – eine Liebeserklärung. Warum die Marktwirtschaft uns allen nützt, Wiley Verlag, 19,90 Euro.

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