Sperrgebiet Bauernhof
Neuer Lebensmittelskandal: Mit Dioxin belastetes Futter verseucht Eier und Fleisch / Landwirtschaft befürchtet hohen Schaden
Kein Ei, kein Schwein, kein Stück Putenfleisch darf einen der rund 1000 landwirtschaftlichen Betriebe in Niedersachsen verlassen, die womöglich mit dioxinverseuchtem Futter beliefert worden sind. Das Land hat eine Vertriebssperre erlassen und Untersuchungen angeordnet. Interessenvertretungen der Landwirte rechnen mit großem Schaden durch den Dioxin-Skandal.
Den Verbraucherschutz im Vordergrund sieht derweil das niedersächsische Landwirtschaftsministerium. Es sei durchaus zu erwarten, dass nur ein kleiner Prozentsatz der untersuchten Betriebe dioxinbelastetes Futter habe, vorsorglich sei jedoch die umfangreiche Überprüfung angelaufen, sagt Gert Hahne, Sprecher des Ministeriums.
Anhand von Verkaufslisten ist ermittelt worden, welche Mischfutterwerke mit dem belasteten Fettstoff beliefert worden sein könnten. Er stammt nach bisherigen Erkenntnissen von einem Biodiesel-Produzenten in Niedersachsen. Der weitere Vertriebsweg ließ sich verfolgen – so gelangten die zuständigen Stellen an die Adressen der zu untersuchenden Legehennen-Farmen, Schweine- und Putenzuchtbetriebe. Versorgungsengpässe gebe es nicht durch die Sperrmaßnahmen, immerhin habe Niedersachsen über 55 000 landwirtschaftliche Betriebe, so Gert Hahne.
Nicht nur auf den Höfen, die untersucht werden, herrscht Besorgnis. Das Ansehen der Landwirtschaft allgemein könnte leiden, befürchtet der Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes, Werner Hilse. »Es wäre schlimm, wenn das alles auf uns sitzen bleibt«, betont der Landwirt, der selbst im niedersächsischen Wendland Ackerbau, Schweine- und Putenmast betreibt. Es müsse gründlich geprüft werden, wie Schadstoffe ins Futter gelangen können, fordert Hilse. »Für uns ist das Ganze ein Riesenproblem, weil die Untersuchungen recht lange dauern und auf den betroffenen Höfen alles still steht.« Wenn tatsächlich Belastungen in den Produkten festgestellt würden, »wäre das der Super-Gau für die Betriebe, weil sie nichts mehr verkaufen können«. Die Vertriebssperren seien zwar schmerzlich, aber richtig. »Wir müssen bemüht sein, belastetes Futter aus der Lebensmittelkette herauszuhalten.«
Ein guter Weg, Giftstoffe im Futter zu verhindern, ist die Eigenproduktion. Das bekräftigt Martin Schulz, Landesvorsitzender der »Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft« in Niedersachsen. »Bauernhöfe statt Agrarfabriken« heißt das Motto der Organisation. Und dieses gelte auch für die Futtergewinnung. »Wir plädieren für geschlossene Kreisläufe; die Landwirte sollten ihr Futter selbst anbauen, einlagern und mischen.« Die Bauern seien in puncto Futter wohl verantwortungsbewusster als profitorientierte Futtermittelfabriken, »denen es um jeden verdienten Cent geht«. Hinsichtlich der Verluste, die betroffene Betriebe durch den Dioxin-Skandal erleiden, sieht Schulz schwarz: Es sei unsicher, ob letztlich irgendein Unternehmen in Regress genommen werden kann, und: »Wir wissen ja nicht, welche Kreise die Sache noch zieht – womöglich bleiben die Bauern letztlich allein im Regen stehen.«
Vorsorgliche Vertriebssperren – heißt das nun, dass sich Hausfrauen und –männer im Land zurzeit beim Kauf von Fleisch und Eiern zurückhalten sollten? Hedi Grunewald von der niedersächsischen Verbraucherzentrale, rät: »Den Eierverzehr massiv einschränken!« Noch sei anzunehmen, dass kein betroffenes Fleisch in den Handel gekommen ist, Fachleute gingen aber davon aus, dass Eier bereits belastet sein könnten. Sobald bekannt ist, welche Betriebe Eier »mit erhöhten Rückständen« liefern, sollten die Behörden die Betriebsnummern veröffentlichen, appelliert Hedi Grunewald. Auf jedem Ei sei neben Angaben über Hühnerhaltung und Lieferland auch die Betriebsnummer zu lesen. Ehe diese bekannt gegeben wird, müsse allerdings abgewogen werden zwischen Interessen des Eierlieferanten und der Bevölkerung. Bei der aktuellen Situation in Niederachsen aber sei das Interesse der Bürgerinnen und Bürger »schon ziemlich groß«, gibt die Lebensmittel-Expertin zu bedenken.
Dioxin, Biodiesel, Fettsäuren
Dioxine sind chemisch ähnlich aufgebaute Verbindungen, die aber unterschiedlich giftig sind. Bereits geringe Konzentrationen können gefährlich sein. Als Langzeitwirkungen wurden etwa Störungen des Immunsystems, schwere Erkrankungen der Haut, der Atemwege, der Schilddrüse und des Verdauungstraktes festgestellt. Dioxin entsteht unerwünscht etwa bei Verbrennungsprozessen chlorhaltiger organischer Substanzen bei bestimmten Temperaturen. Nach Angaben des Umweltbundesamtes wird das Gift bei 300 Grad und mehr gebildet und bei 900 Grad und mehr zerstört. Auch bei chemischen Produktionsverfahren mit Chlor und bei Bränden können die Stoffe entstehen.
Für den Chemiker sind Fettsäuren Verbindungen aus Ketten von Kohlenstoffatomen, die viele Wasserstoffatome tragen. An einem Ende dieser oft sehr langen Moleküle sitzt eine Säuregruppe. Diese ist verantwortlich für eine in der Biologie sehr bedeutende chemische Reaktion: Drei meist unterschiedlich lange Fettsäuren können mit dem Alkohol Glycerin reagieren.
Das Resultat dieser Reaktion ist Fett. An dem Grundgerüst des Glycerins hängen dann drei Fettsäure-Ketten. Je länger die Kohlenstoff-Ketten im Fett sind, umso fester ist es. Kürzere Fettsäuren führen zu Ölen. Fett und Fettsäuren entstehen natürlicherweise im tierischen, pflanzlichen und menschlichen Stoffwechsel.
Biodiesel wird in einer chemischen Reaktion aus energiereichen pflanzlichen Fetten gewonnen, oftmals Rapsöl. Die fünf darin hauptsächlich vorkommenden Fettsäuren sind Ölsäure, Stearinsäure, Palmitinsäure, Linolsäure und Linolensäure. Solche Gemische tragen den Namen Mischfettsäuren. Bei der Biodieselproduktion kommt es nach Angaben von Experten nicht zu Bedingungen, die Dioxin entstehen lassen. dpa/ND
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