Ein anderer Luxemburgismus ist möglich

Grabung I – Die Aktualität des Werks und Vermächtnisses von Rosa Luxemburg

  • Rainer Holze
  • Lesedauer: 4 Min.
Rosa L. auf dem Internationalen Sozialistenkongress in Stuttgart 1907
Rosa L. auf dem Internationalen Sozialistenkongress in Stuttgart 1907

Auch über neun Jahrzehnte nach ihrer Ermordung durch reaktionäre Freikorpstruppen in Berlin bietet Rosa Luxemburg wertvolle Anregungen zur Analyse der Gesellschaft und Entwicklung von Visionen. Davon legt der von Narihiko Ito, Annelies Laschitza und Ottokar Luban herausgegebene Band beredtes Zeugnis ab. Er stellt eine Auswahl der Beiträge vor, die auf Konferenzen der Internationalen Rosa-Luxemburg-Gesellschaft in Tokio und in Berlin gehalten worden sind. Zu den zahlreichen Teilnehmern aus 16 Ländern Europas, Asiens sowie Nord- und Südamerikas gehörten diesmal erfreulicherweise auch viele junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen.

Nicht von ungefähr stand in den Vorträgen der Historiker, Ökonomen. Philosophen und Politologen – stärker als auf den vorangegangenen internationalen Konferenzen – das nationalökonomische Denken Rosa Luxemburgs und dessen Aktualität angesichts der Entwicklung der Weltwirtschaft wie der nationaler Wirtschaften im Mittelpunkt. Die Brisanz ihrer wirtschaftswissenschaftlichen Arbeiten angesichts der noch nicht ausgestandenen Krise wird vor allem im Beitrag von Michael R. Krätke (Lancaster) überzeugend sichtbar. Er offeriert neue Einsichten über die Genesis des Luxemburgischen Erkenntnisprozesses zur Ökonomie des Kapitalismus und deren Bedeutung für die Untersuchung des gegenwärtigen. Nach Luxemburg stoße der Kapitalismus dann an seine logischen und historischen Grenzen, wenn er sich über die gesamte Welt ausgebreitet habe. Dass dieses Stadium heute zum ersten Mal erreicht sei, unterstreiche die Bedeutung der Luxemburgischen Überlegungen für heute.

Wie bei Krätke ist Luxemburgs grundlegende Arbeit »Die Akkumulation des Kapitals« aus dem Jahre 1913 auch wichtigster Bezugspunkt in den Beiträgen von He Ping (China) und Isabel Loureiro (Brasilien). Letztere informiert darüber, dass – im Gegensatz zu Marx, Lenin, Gramsci oder Lukács – Rosa Luxemburg in Brasilien (was auch an fehlenden Übersetzungen ihrer Werke ins Portugiesische liege) nicht akademisch, dafür aber stark politisch rezipiert wurde und wird. Die deutsch-polnische Revolutionärin gelte als Symbol des demokratischen Sozialismus, als eine »Dritte Welt-Marxistin«. Ihre Erben seien in der Bewegung der Landlosen und bei den Zapatisten zu finden.

Auch andere Beiträge, so von Zhang Wenhong und Wang Xue-Dong (beide China) sowie Dogan Gocmen (Türkei), belegen das nachhaltige internationale Interesse an Rosa Luxemburg. Wang Xue-Dong spricht gar von einem regelrechten »Eifer der chinesischen Gelehrten, Rosa Luxemburg zu rezipieren«; übersetzt erschienen sei in seinem Land nunmehr auch ihre berühmte Schrift »Zur russischen Revolution«. Um ihren Streit mit Lenin wissen – nach einer Umfrage von Zhang Wenhong – in China drei Prozent der (wohl eher städtischen) Bevölkerung; ebenso viele wüssten um ihre Liebesbeziehung mit Leo Jogiches. Ansonsten sei für das »Reich der Mitte« zu konstatieren, dass eher älteren Menschen der Name Rosa Luxemburg etwas sagt, während Jugendliche unter 25 Jahren sie kaum kennen.

Mehrere Aufsätze befassen sich mit der Möglichkeit von Sozialismus im 21. Jahrhundert und diskutieren in diesem Kontext das Erbe der radikaldemokratischen Sozialistin, vor allem ihre basisdemokratischen Intentionen für linke Bewegungen weltweit heute. Narihiko Ito (Japan), Vorsitzender der Internationalen Rosa-Luxemburg-Gesellschaft, umreißt ihre Vorstellungen vom Sozialismus und den Weg dorthin. Evelin Wittich erörtert »Unabgegoltenes bei Rosa Luxemburg«. William A. Pelz aus Chicago ist überzeugt: »Ein anderer Luxemburgismus ist möglich.« Das stalinistische Verdikt umkehrend, plädiert der US-amerikanische Professor dafür, das feste Vertrauen Rosas in Demokratie und in die Massen, ihren eindeutigen Internationalismus in Wort und Tat sowie ihren unerschütterlichen Humanismus zu bewahren und fortzuführen.

Annelies Laschitza, Autorin bemerkenswerter Biografien von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, verdeutlicht individuelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten ihrer Protagonisten und berichtet über deren Zusammenarbeit in den dramatischen Wochen der deutschen Novemberrevolution 1918. Ulla Plener, Felix Tych (Polen), Jean-François Fayet (Schweiz), Sobhanlal Datta Gupta (Indien) und Florian Wilde beleuchten die wechselseitige Beeinflussung und die Differenzen zwischen Rosa Luxemburg und anderen Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung wie W. I. Lenin, Leo Jogiches, Karl Radek, Nikolai Bucharin und Ernst Meyer. Jakow Drabkin (Russland) befasst sich mit ihrer Haltung zur Gründung der Komintern, Theodor Bergmann und Ottokar Luban informieren über ihre Positionen zur Koalitionspolitik sozialistischer Parteien bzw. zum Massenstreik. Nicht zuletzt unterbreitet Klaus Gietinger, Verfasser einer bemerkenswerten Biografie über Waldemar Pabst, den Mörder von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, neue Erkenntnisse über die politischen Hintergründe der verbrecherischen Untat am 15. Januar 1919.

Dieser Band eignet sich vorzüglich zur geistigen Vor- oder aber auch Nachbereitung des traditionellen Gedenkens an Karl und Rosa, das auch am kommenden Sonntag wieder zahlreiche Menschen zum Sozialistenfriedhof in Berlin-Friedrichsfelde führen wird.

Narihiko Ito/Annelies Laschitza/ Ottokar Luban (Hg.): Rosa Luxemburg. Ökonomische und historisch-politische Aspekte ihres Werkes. Karl Dietz Verlag. 236 S., br., 16,90 €.

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