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Anmut – ein gefährliches Tier

Michael Sollorz: »Piratenherz« – von Männern wie auf hoher See

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 4 Min.

Darf ich eintreten in dieses Buch? Bin ich überhaupt erwünscht am »anderen Ufer«, wo Männer mit Männern im Gebüsch verschwinden? Apartheid, dieses Wort ging mir beim Lesen durch den Kopf. Auch bei uns gibt es getrennte Welten. Die »Heteros« wissen von den »Homos« nichts, und wollen es nicht wissen. Oder doch? Wenn Literatur dazu da ist, etwas über andere Leben zu erfahren, dann ist dieser Erzählungsband von Michael Sollorz für mich wichtiger als andere Bücher.

Auf dem Umschlag ein Mann, der durch ein Fenster auf den Rücken eines anderen Mannes schaut. Was alles in einem solchen Blick liegt – Sehnsucht (»Männerschwarm« heißt der Verlag), Begehren, Resignation – das zu beschreiben, miterlebbar zu machen, ist Michael Sollorz ein Meister. Er erzähle von sich selbst, könnte anfangs manch einer denken. Vielleicht war er ja auch wirklich jener junge Schriftsteller, der im September 1989 in einem Holzhaus im Fläming Domizil nahm, um zu schreiben. Dem das aber nicht gelang, weil ihm Manuel, ein Schüler in den Ferien, wie ein »Quälgeist« in die Quere kam, er nicht an ihn denken wollte, aber musste ...

»Hungs Anmut war ein gefährliches Tier. Es hatte ihn angesprungen und sich tief drinnen verbissen, dort, wo seine Seele gefangen saß«, heißt es in der zweiten Geschichte »Hung«, wo ein nun schon älterer Mann namens Rüdiger auf rührende Weise Verbindung zu einem Vietnamesen aufzunehmen sucht. Vom Hinterhaus zum Seitenflügel sind es nur ein paar Schritte. Kohlrouladen wurden gekocht. Aber dann: Welcher Schmerz, welche Qual, welcher Sturz ins fast Bodenlose. Und welche Schuld: Die Mutter stirbt, und er hatte die letzte Begegnung abgesagt. Hier merkt man schon etwas von der Wucht des Erzählens, die sich noch steigern wird – bis man zurückprallt im Erschrecken.

»Piratenherz« – der Titel passt. Männer immer wie auf hoher See, zeitlebens auf schwankenden Planken. Sie jagen, sie entern, sie rauben – sie morden sogar in einem der Texte. Rastlosigkeit: Erst ist es Sehnsucht, dann ein Gehetzsein. (»Das Traurige am Fühlen«, denkt Marek in »Und Minz und Maunz«, »dass es sich nicht festhalten ließ.«) Angst, etwas zu versäumen. Reiz, der stirbt, wenn er nicht unendlich gesteigert wird.

Aber wie weit kann das gehen, wann kippt das um? »Mein Schiff hieß St. Genet, zeitlebens dasselbe Schiff, nenn es Treue«, so beginnt die Titelerzählung. Eine Art Fliegender Holländer, denke ich – und spüre, während ich das schreibe, wie mich abweisende Blicke treffen. Von Marek und Konstantin, von David und Dennis, Miguel und Michael. Dein mütterliches Mitgefühl – steck's dir an den Hut.

Aber der Autor, das merke ich, steht mir bei. Er hat Szenen arrangiert, die man womöglich nie vergisst, so grell und doch im Zwielicht des Zweifels. »Wer bist du, wie ist dein Name?«, ruft der Vogel Dönenbai, in den sich in Aitmatows Roman »Der Tag zieht den Jahrhundertweg« die Mutter des Mankurts verwandelt hat. Man kann sich nicht verlieben und gleichzeitig frei sein. Glücklich, wer das an sich erfahren hat – und dann doch einen Übergang entdeckte zwischen dem Rausch und der Liebe. Dagegen ist die Sauna, die in »Der Aufenthalt« beschrieben wird, eine Horrorvision: Die Männer dort gedachten sich zu amüsieren, aber keiner findet wieder heraus ...

Für mich der schönste Text: »Bollenhagen«, Mario Wirz gewidmet (und mir kam dabei tatsächlich ein Wirz-Gedicht in den Sinn). Der Autor Sollorz ist zu einer Lesung geladen und sieht den Autor Sollorz auf dem Podium sitzen. Ein frecher Doppelgänger in eigentlich erbärmlichem Ambiente. Aber da sind die Trommeln in der Nacht, vor denen der eine Sollorz in sein – sein? – Hotelzimmer flieht. Und der andere? »Du bist noch nicht so weit«, sagt er milde. »Von der Liebe? Deine Texte? Ausgerechnet! Du weiß doch gar nicht, was das ist. Und du wirst es auch niemals erfahren ...«

Und doch handeln diese Texte von der Liebe! Gerade deshalb, weil sie hier oftmals vergeblich gesucht, deshalb irgendwann verächtet wird, nimmt sie sich Raum. Und glänzt in der Ferne.

Michael Sollorz: Piratenherz. Erzählungen. Männerschwarm Verlag. 134 S., brosch., 16 €.

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