Streitfrage: Ist die Polizeireform in Brandenburg notwendig?

  • Lesedauer: 7 Min.
Seit Monaten sorgt die geplante Polizeireform in Brandenburg für Aufregung. Ein von der rot-roten Mehrheit Ende 2010 im Landtag verabschiedetes Gesetz sieht vor, bis 2020 die Zahl der Polizeistellen um 1900 auf 7000 zu verringern. Die Polizeipräsidien in Frankfurt an der Oder und Potsdam werden zusammengelegt. Außerdem will die Regierung nicht mehr alle Wachen rund um die Uhr besetzt lassen. Doch gegen die Pläne von SPD und Linkspartei gibt es Widerstand. Eine Bürgerinitiative hat knapp 100 000 Unterschriften gegen die Polizeireform in Brandenburg gesammelt und sie dem Landtagspräsidenten Gunter Fritsch (SPD) übergeben. Es debattieren Dietmar Woidke (Innenminister) und Andreas Schuster (GdP-Landesvorsitzender).

Die Polizei kann nicht bleiben, wie sie ist

Von Dietmar Woidke

Zur Polizeireform habe ich mittlerweile überall im Land viele Diskussionen geführt. Ja, es gibt Ängste, kritische Fragen und Hinweise, aber mittlerweile auch immer mehr Bürger, die verstehen, dass unsere Polizeistrukturen effizienter werden müssen. Eine umfassende Polizeireform ist gerade deshalb notwendig, um die erfolgreiche Arbeit der Polizei auch zukünftig aufrechtzuerhalten und weiter zu verbessern. Darum geht es.

Andere Länder zeigen, dass auch mit weniger Personal bürgernah und erfolgreich gearbeitet werden kann. In den nächsten Jahren wird deutlich weniger Geld in den Landeshaushalt fließen, die Aufbau-Ost-Mittel sind 2020 Geschichte. Darauf müssen wir uns einstellen. Es geht aber nicht nur um Geld. Es geht um die Entwicklung der Bevölkerung, um rückläufige Trends der Kriminalitätsentwicklung und um die Einsatzmöglichkeiten neuer polizeilicher Technik. Vieles ist dabei, sich tiefgreifend zu verändern – gesellschaftlich, demografisch, technologisch. Schon deshalb kann die Polizei nicht bleiben, wie sie ist. Es geht dabei darum, eine zu große Struktur schlanker zu machen. Alles, was wir an »Struktur« zu viel haben, an Führung und Verwaltung, fehlt uns im polizeilichen Einsatz. Das müssen wir ändern.

Diesen Reformansatz finden wir auch anderswo, etwa bei unseren sächsischen Nachbarn, die eine Reform »Polizei.Sachsen.2020« eingeleitet haben. Das kann auch nicht anders sein, da sich eine große Organisation wie die Polizei überall gesellschaftlichen Veränderungen anpassen muss. Für mich ist klar, dass dies nicht am grünen Tisch geschehen kann. Politisch verantwortungsvolle Entscheidungen brauchen die Analyse und Expertise der Fachleute. Deshalb hat sich in Brandenburg im vergangenen Jahr eine Expertenkommission Aufgaben und Organisation der Landespolizei gründlich angesehen und ein Reformkonzept erarbeitet. Sein Kern ist seit Ende 2010 in Brandenburg Gesetz: Die beiden Polizeipräsidien, das Landeskriminalamt und die Landeseinsatzeinheit sind zu einem Polizeipräsidium zusammengefasst worden, darunter werden vier regionale Polizeidirektionen eingerichtet. So passen die Strukturen von Polizei und Justiz besser zusammen als heute. Der Landtag hat im Dezember grünes Licht für diese Polizeireform gegeben.

In der Diskussion ist jetzt vor allem die neue Struktur der Polizei. Ich verstehe, wenn in den Regionen auf die konkrete Ausgestaltung der künftigen Polizeistandorte gewartet wird. Das Netz der Inspektionen und unterschiedlich organisierten Reviere muss jedoch überlegt und sorgfältig geknüpft werden, damit es den Erwartungen an eine effizientere und dabei wirksame Gesamtstruktur zukunftssicher standhält. Wir werden zügig arbeiten, aber uns nicht treiben lassen, weil auch hier eine solide fachliche Arbeit das A und O ist. Damit beschäftigen sich derzeit Aufbaustäbe des neuen Polizeipräsidiums und der regionalen Polizeidirektionen, die im ersten Halbjahr 2011 ihre Ergebnisse vorlegen werden. Ich habe als Leiter der Stäbe Beamte der Polizei berufen, die über umfangreiche Erfahrung verfügen und mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg halten. Umfassende Beteiligung ist mir wichtig: Deshalb sind selbstverständlich auch die Personalräte an den Aufbaustäben beteiligt. Ich suche das intensive Gespräch mit den Polizeigewerkschaften. Die Kommunikation zur Reform mit den Polizeibediensteten aber auch nach außen haben wir verstärkt. Und das zeitigt Ergebnisse: Die Debatte hat sich spürbar versachlicht, der Reformbedarf wird mittlerweile weithin anerkannt, auch wenn über viele Detailfragen natürlich weiter gestritten wird. Die Polizeireform ist aber heute in deutlich ruhigeres Fahrwasser geraten.

Die Aufgabe der Aufbaustäbe ist schwierig und anspruchsvoll. Sie ist aber lösbar. Wir werden mit schlankerer Struktur und weniger Gesamtpersonal das Niveau bei Streifendienst und Revierpolizei in der Fläche halten. Hier wird in erster Linie über Bürgernähe und schnelle Erreichbarkeit der Polizei entschieden. Das bleibt so. Besondere Aufgaben und regionale Schwerpunkte werden bei der künftigen Polizeistruktur berücksichtigt. Dazu gehört die Situation an der Grenze zu Polen, die eine hohe polizeiliche Aufmerksamkeit weiterhin erfordert.

Wir halten an unserem Ziel fest. Unter Berücksichtigung aller Aspekte wird im Jahr 2020 die Polizei 7000 Mitarbeiter benötigen, 1900 weniger als heute. Brandenburg wird dann 295 Polizisten für 100 000 Einwohner haben, das sind mehr, als vergleichbare Flächenländer wie beispielsweise Niedersachsen oder Rheinland-Pfalz heute einsetzen. Wir reden also nicht über weniger Polizei als in anderen Ländern. Wir reden über genauso viel oder sogar etwas mehr. Das wird in der Debatte manchmal gern übersehen. Und warum sollte das nicht ausreichen? Alles andere ist eine Sache kluger und sinnvoller Organisation und kompetenter Führung. Dann wird die Polizei in Brandenburg auch 2020 Sicherheit auf hohem Niveau gewährleisten können. Und darauf kommt es an. Die Polizeireform ist notwendig, um dieses Ziel zu erreichen.

Dr. Dietmar Woidke, 1961 geboren, seit 1993 Mitglied der SPD, ist Innenminister in Brandenburg. Er wurde 1994 erstmals in den dortigen Landtag gewählt.

Es fehlt an allen Ecken und Enden

Von Andreas Schuster

Die Polizei des Landes Brandenburg benötigt tatsächlich dringend eine Strukturreform. Nur wurden in Vorbereitung dieser jetzt beschlossenen Strukturreform entscheidende Fehler gemacht.

Der ehemalige Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) setzte im Jahr 2002 bereits eine umfassende Polizeistrukturreform durch (und um), deren Aufgabe es war, einen Stellenabbau von 725 zu kompensieren. Mehr Stellenabbau ginge – so Schönbohm – dann nicht mehr. Aber das Personal wurde weit darüber hinaus reduziert. Insgesamt fielen während der Amtszeit der rot-schwarzen Landesregierung etwa 1700 Stellen in der Brandenburger Polizei weg. Das konnte die Polizeistruktur, die wir 2002 verordnet bekamen, beim besten Willen aller Betroffenen nicht aushalten.

Es fehlte an allen Ecken und Enden. Mindestschichtstärken konnten nicht mehr eingehalten werden und Berge an Überstunden bauten sich auf. Innenminister Schönbohm wollte zum Ende seiner Amtszeit 2008/2009 keine Entscheidungen mehr treffen. Alle – auch die Polizei – warteten auf die Landtagswahlen 2009. Unsere Hoffnung war, dass die neue rot-rote Landesregierung die immer größer werdenden Probleme einer Lösung zuführt. Wir hatten als Gewerkschaft der Polizei diesbezügliche Vorstellungen und diese auch den nun regierenden Fraktionen von SPD und LINKEN unterbreitet.

Zuerst sollte eine umfassende Aufgabenkritik für die Polizei durchgeführt werden. In deren Ergebnis wäre dann festzustellen, was die Polizei insgesamt leisten muss, soll und kann. Auf dieser Basis hätten dann Entscheidungen zur erforderlichen Zahl an Polizeibeschäftigten und zu Strukturen, in denen diese dann arbeiten sollen, getroffen werden können.

Was machte die rot-rote Landesregierung? Sie ließ die Aufgabenkritik weg und verordnete gleich mal einen zusätzlichen Stellenabbau von 1900. Das sind etwa 22 Prozent des vorhandenen Personals. Die Lücken aus dem Personalabbau von Rot-Schwarz zu schließen und dazu noch den Wegfall von zusätzlichen 1900 Stellen zu kompensieren, war dann Aufgabe des neuen Innenministers Rainer Speer, nachfolgend Dietmar Woidke.

Anstatt nun der Brandenburger Bevölkerung reinen Wein einzuschenken, welche Aufgaben die Polizei künftig nicht mehr erledigen kann und wo und in welchem Umfang Abstriche an der Inneren Sicherheit zu erwarten sind, wurden wie bereits 2002 »altbewährte« Beteuerungen abgegeben. Natürlich würde sich an der Qualität der polizeilichen Arbeit und an der Gewährleistung der Inneren Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger nichts ändern. Die Personaleinsparung würde allein durch die Straffung von Führungsstrukturen erreicht. Die flächendeckende Polizeipräsenz würde erhalten bleiben. Prävention wird es weiterhin geben, usw. … Das kann und wird auch mit der neuen Polizeistruktur nicht funktionieren.

Man kann nicht 1900 Stellen allein durch den Wegfall von Führungskräften einsparen. Unabhängig davon, dass wir keine 1900 wegfallenden Führungsfunktionen haben, sind hier vorrangig Führungskräfte in den Polizeiwachen gemeint; Wachenleiter (einer je Wache!), Dienstgruppenleiter (DGL) und Wachdienstführer (WDF). Insbesondere DGL und WDF haben nicht allein »nur« geführt. Sie haben aktiv und wirkungsvoll Einsätze übernommen. Der Stellenabbau schreitet Jahr für Jahr voran und soll bis zum Jahr 2019 abgeschlossen sein.

Die jetzt beschlossene Polizeistrukturreform soll sicherstellen, dass unsere Polizei auch noch im Jahr 2019 mit den nur noch 7000 Polizeibeschäftigten funktioniert. Werden wir dann wieder feststellen müssen: Ups, es knirscht in den Bereichen? Wer will das dann verantworten? Werden erst dann eventuell die Entscheidungen zum Personalabbau korrigiert oder verordnet eine neue Landesregierung gleich mal wieder einen zusätzlichen Personalabbau?

Wir sind sicher, dass unsere Kolleginnen und Kollegen die neue Polizeistruktur mit viel Einsatz und Kompetenz aufbauen und zum Laufen bringen. Die mitgegebene Bürde, einen zusätzlichen Personalabbau von 1900 Stellen zu kompensieren – bei Beibehaltung aller bisherigen Aufgaben und Absicherung zahlloser neuer Aufgaben –, wird jedoch zu gewaltig sein. Fragen Sie uns dazu noch einmal 2014 und dann 2019.

Andreas Schuster, Jahrgang 1959, ist Erster Kriminalhauptkommissar und Landesbezirksvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Brandenburg.
Streitfrage: Ist die Polizeireform in Brandenburg notwendig?
Andreas Schuster
Andreas Schuster
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