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Wenn die Löwen weinen
Krimiautoren haben den Konflikt um Stuttgart 21 als Stoff für ihre Geschichten entdeckt
Berlin. Bisher gehörte Stuttgart nicht gerade zu den spektakulärsten Tatorten von Kriminalromanen. Seit sich die Stadt jedoch in den letzten Monaten zu einem brodelnden Hexenkessel entwickelt hat, haben Kommissare hier jede Menge zu tun. Rund um den trutzigen Bahnhof stehen sich Bürger, Amtsträger und Bahnhofsmanager spinnefeind gegenüber, ein idealer Nährboden für kriminalistische Verwicklungen aller Art.
Allein der Theiss-Verlag bringt gleich zwei Krimis heraus: »Wo die Löwen weinen« von Heinrich Steinfest und »Schlossgartensterben« von Stefanie Wider-Groth. Bereits vor einigen Monaten erschien im Gmeiner Verlag Michael Krugs »Bahnhofsmission«.
Mit harten Bandagen
Interessant ist dabei, wie sich im Laufe der Zeit die Schwerpunkte verschoben haben. Standen in »Bahnhofsmission« noch die Projektbefürworter, insbesondere die Bahn mit ihren undurchsichtigen Finanzkalkulationen im Mittelpunkt, hat sich der Fokus inzwischen mehr zu den rebellierenden Bürgern hin verlagert. Sie stehen in der Gunst der Krimiautoren.
Am eindeutigsten ist dies bei Heinrich Steinfest erkennbar. Der in Stuttgart lebende Österreicher ist ein vielfach prämierter Krimiautor. In »Wo die Löwen weinen« versetzt er seinen aus Stuttgart vertriebenen Kommissar Rosenblüt zurück in die schwäbische Heimat, wo er prompt in den eskalierenden Konflikt um Stuttgart 21 gerät. Hier wird mit harten Bandagen gekämpft: Ein Geologe wird unter Druck gesetzt, ein für die Bahn günstiges Gutachten zu erstellen. Ein archäologisches Fundstück, das zu unpassender Zeit an unpassender Stelle ausgebuddelt wird und das Projekt zu gefährden scheint, muss unter allen Umständen verschwinden. Ein vom Leben frustrierter Stuttgart 21-Gegner führt seinen ganz persönlichen Rachefeldzug. Ganz zum Schluss des Buches gibt es dann auch noch eine Leiche.
Die mäßig spannende Handlung nimmt teilweise fantastische Züge an, etwa wenn eine vorsintflutliche Rechenmaschine ausgerechnet im Schlossgarten entdeckt wird. Umso realer sind die politischen Akteure, die Steinfest als »Möchtegern-Aristokratie« vorführt. Sie dürften sich über ihre bissigen Porträts kaum freuen. Der Stuttgarter Oberbürgermeister Schuster firmiert als »schwächlich«, Ministerpräsident Mappus als ein Mann von »verzweifelter« Virilität.
Etwas weniger harsch im Urteil, weniger verwickelt, aber auch weniger fantasievoll in der Handlungsführung ist Stefanie Wider-Groth in »Schlossgartensterben«. Ihr Kommissar Emmerich ermittelt in seinem dritten Fall in der buntscheckigen Szene der Projektgegner. Revue passieren ein Rebell alter Schule mit dem bezeichnenden Namen Wurzenbach, eine feinsinnige Galeristin und eine Bauunternehmersgattin als Beispiele für die gebildete und zum Teil betuchte Klientel der Stuttgart 21-Gegner.
Währenddessen gerät Kommissar Emmerich in einen Loyalitäts- konflikt, denn er hegt durchaus persönliche Sympathien für die friedlich rebellierenden Bürger. Die Autorin lässt den Kommissar über die Zukunft des Landes sinnieren: »Unterschwellig und schwer fassbar änderte sich etwas in dem Land, in dem er lebte.« Das Gleichgewicht »war in Bewegung geraten, die Toleranzschwelle gegenüber dem jeweils Andersdenkenden schien ihm zu sinken.«
Nur eine Momentaufnahme
Die heraufziehenden schweren Konflikte werden in dem Roman zwar angedeutet, aber nicht mehr behandelt, wie die Autorin selbst im Vorwort nicht ohne Bedauern feststellt. Denn die Dynamik des Prozesses war einfach schneller. Die Eskalation vom 30. September und ihre Folgen konnten nicht mehr berücksichtigt werden.
So sind diese schnell gestrickten Stuttgart 21-Romane heute bereits eine überholte Momentaufnahme. Die eigentliche Eskalation des Stuttgarter Bahnhofskonflikts harrt also noch der intelligenten kriminalistischen Aufbereitung.
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