Dableiben oder Weggehen?

Wettbewerb: »Jodaeiy-e Nader az Simin« von Asghar Farhadi

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.
Dableiben oder Weggehen?

Es gibt Filme, die sind wie ein Seismograf. Sie registrieren kleinste Erschütterungen. Nichts ist von diesen ausgenommen, in jeder Begegnung von Menschen schwingen sie mit. Freundschaften sind davon betroffen, das Verhältnis von Eltern und Kindern, von Geschwistern. In jeder Ehe sind sie spürbar. In der DDR nach der Biermann-Ausbürgerung etwa war Frank Beyers »Geschlossene Gesellschaft« mit Jutta Hoffmann und Armin Mueller-Stahl so ein Film, der alles über ein Land sagte, allein dadurch, dass er zwei Menschen zeigte, die nicht länger zusammenbleiben können.

Dieser iranische Wettbewerbsbeitrag trägt die hier verhandelte Frage bereits in seinem Titel, in der englischen Übersetzung: »Nader and Simin, a Separation«. Es ist die Geschichte einer Trennung. Doch wer trennt sich wovon? Nader und Simin: ein gutbürgerliches Ehepaar Mitte Dreißig in Teheran, beide gebildet, beide berufstätig, eine Tochter, beide liberal in religiösen und politischen Dingen – das ideale Paar auch nach mehr als zehn Jahren Ehe. Und doch, Simin will sich von ihrem Mann scheiden lassen, weil der nicht mit ihr Iran verlassen will.

Warum Simin weg will, das sagt sie nicht offen, das darf sie nicht, sonst käme sie ins Gefängnis. So wie es dem abwesenden Jury-Mitglied der diesjährigen Berlinale, dem Regisseur Jafar Panahi, Silberner Bären-Gewinner von 2006, erging. Er wurde in Iran aus politischen Gründen zu sechs Jahren Gefängnis und zwanzig Jahren Berufsverbot verurteilt. Dieser Staat erstickt jeden Anflug von Protest gewaltsam. Simin aber ist eine gebildete Frau, sie lebt mit Nader in völlig gleichberechtigter Partnerschaft, er kümmert sich sehr um die Tochter und pflegt seinen Vater, der Alzheimer hat. Sie ist schön und will frei leben. Das alles ist nur Subtext des Films, Freiheitsdebatten werden nicht geführt, es wird weder Gesinnung demonstriert, noch protestiert – sehr zum Vorteil des eigentlich tragödienhaften Kerns dieser Beziehung zweier Menschen, die sich immer noch lieben, aber am Ende doch getrennte Wege gehen werden.

Nader will seinen Vater nicht allein zurücklassen, er kann es nicht, ebenso wenig wie Simin länger bleiben kann. So zerstören Verhältnisse Bindungen von Menschen, die doch zusammengehören. Regisseur Asghar Farhadi hat in »Jodaeiy-e Nader az Simin« dafür eine eindringliche Erzählweise gefunden, er zeigt ein Land, das längst in lauter Parallelgesellschaften zerfallen ist. Als Simin zu ihren Eltern zieht, bleibt Nader mit Tochter und krankem Vater zurück. Für diesen braucht er eine ständige Betreuung. Eine Frau (wie ein sehr nächtlicher Vogel: Sareh Bayat) mit kleinem Kind meldet sich, eine einfache Frau mit dem großen schwarzen Kopftuch der Landbevölkerung. Sie bleibt in seiner Abwesenheit beim Vater. Bevor sie den alten inkontinenten Mann wäscht, lässt sie sich das erst per Handy von den Religionswächtern genehmigen. Da prallen zwei Welten aufeinander, die sonst nichts miteinander zu tun haben. Die Frau steckt in Schwierigkeiten, denn ihr Mann, ein Schuster, hat seine Arbeit verloren, ist verschuldet und psychisch krank. Keine der heute in Iran lebenden religiösen oder politischen Gruppierungen kann einfach so weitermachen wie bisher, etwas Grundlegendes wird sich ändern müssen, um den Zerfall der Gesellschaft zu stoppen – diese Botschaft Farhadis allerdings ist unübersehbar.

Schon nach wenigen Tagen gibt es eine Auseinandersetzung mit der neuen Pflegerin. Nader findet seinen Vater allein und ans Bett gefesselt vor. Bei ihrer Rückkehr wirft er die Frau wütend aus der Wohnung. Tags darauf wird er angezeigt, die Frau war schwanger gewesen und erlitt nun eine Fehlgeburt, angeblich hat er sie die Treppe hinunter geworfen. Er wird verhört, der Vorwurf lautet: Mord. Wir blicken auf die Flure von Polizei und Gerichten, sehen die Menschen dort in Handschellen. Ein unheimlicher Apparat zeigt sich – und die Menschen schauen teils müde, teil offen verächtlich um sich. Wer gilt in Iran heute alles für kriminell?

Asghar Farhadi gelingt hier nicht weniger als ein ästhetisch überzeugendes Sittenbild des heutigen Iran. Weniger direkt, als Rafi Pitts es auf der vorigen Berlinale mit »Zeit des Zorns« vorstellte, der eine unverhohlene Anklage des Polizeistaats war. Farhadi erzählt indirekt von einem Land mit einer langen Kulturtradition – auch im Weltkino! –, das seine inneren Bindekräfte verloren hat und nur noch durch äußeren Zwang zusammengehalten wird. Großartig Peyman Moadi als Nader, ein von den Umständen überforderter Mann, dabei auf überzeugende Weise entschlossen, nicht zu zerbrechen. Fast unheimlich autark dagegen Leila Hatami als Simin. Innerlich haben sich die beiden in ein gegenseitiges Missverstehen geflüchtet, das nicht unkorrigierbar scheint. Simins Familie stellt für Nader die Kaution, man hilft, man vermittelt, das ja – aber immer bleibt da der grundsätzliche Dissens. Wo liegt ihre Zukunft? Simin hat abgeschlossen mit Iran. Nader aber, der zu Unrecht beschuldigt wird, der seine unter der Trennung leidende Tochter nicht verlieren will und auch den kranken Vater pflegt, ist ein Hoffnungsträger. Ein beladener Mensch, der, von Widersprüchen fast zerrissen, auszuhalten versucht, viel mehr gibt, als er bekommt.

Das ist das Aroma von Freiheit und (Neu-)Ordnung, die unbedingte Entschlossenheit von »Wir bleiben hier« und »Wir sind das Volk«. Die arabische Welt ist derzeit wie im Fieber. Die Krankheit liegt offen – und ob sie zur Heilung oder zum Tode führt, dass hängt vor allem von den Menschen ab, die trotz ihrer Unzufriedenheit dageblieben sind. So atmet dieser auf seine subtil-poetische Art wahrlich Bärenwürdige Film auf engstem Raum den Geist der Veränderung.

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