»Die Welt soll wissen, dass es sie gibt«

Öffentlichkeit soll nicht kontaktierte Indigene in Brasiliens Regenwald schützen

  • Hannelore Gilsenbach
  • Lesedauer: 4 Min.
Im brasilianischen Regenwald existieren noch immer isoliert lebende Völker ohne Kontakt zur Zivilisation. Die Expansion der Holzfäller bedroht sie. Die Nichtregierungsorganisation Survival International hat deswegen eine neue Kampagne gestartet. In Absprache mit der Regierung Brasiliens verschickte die Organisation jüngst Pressefotos in alle Welt. Sie zeigen eine indianische Gemeinschaft, die sich im Urwald nahe der Grenze zu Peru verbirgt. Mit Öffentlichkeit soll ihre Existenzform geschützt werden.

Ein Leichtflugzeug überquert die endlose Szenerie des Regenwaldes. Über Stunden keine erkennbaren Spuren, die von Menschen stammen könnten. An Bord der Cessna sind Angestellte der brasilianischen Behörde für indigene Angelegenheiten (FUNAI) – der Experte für »indios isolados« (isolierte Indianer), José Carlos Meirelles, und Gleison Miranda, Fotograf. Erstmals durfte ein BBC-Filmteam mitreisen. Es wird aus einem Kilometer Flughöhe mit Teleobjektiven einzigartige Details einfangen. Das Material wird Teil der BBC-Dokumentarreihe »Human Planet« werden.

Endlich, das Ziel. Meirelles hat die kleine Siedlung gesichtet. Der Pilot überfliegt sie in sanftem Bogen. Unten erscheinen mit Palmblättern gedeckte Langhäuser – »malocas« – aufgereiht zwischen hohen Bäumen, umgeben von Waldgärten. Bewohner laufen zusammen, blicken zum Flieger. Frauen, Männer, Kinder deuten in den Himmel. Die Indianer wirken selbstsicher, gesund. Ein Korb voller Papaya, daneben Maniok, Bananen. Ringsum Anatto-Sträucher, deren Samen die rote Körperbemalung liefern – Sonnen- und Mückenschutz.

Das Flugzeug dreht ab. Der Motorenlärm verliert sich im Gesang der Zikaden und Frösche, überlässt die Indígenas ihrer Ahnungslosigkeit. »Ohne Beweise, dass es diese Menschen gibt, wird die Welt sie nicht unterstützen«, sagt Carlos Meirelles. »Wenn die Holzfäller kommen, schießen sie keine Bilder, sondern mit Waffen.«

Völkerkundler wissen von isolierten Indígenas entlang der brasilianisch-peruanischen Grenze seit 1910. In Brasilien könnten es 50 bis 60 Völker sein. In Peru etwa 15. Viele hatten noch nie Kontakt zur Außenwelt. Andere haben sich nach Gewalterfahrungen in die Isolation zurückgezogen – zum Beispiel während des Kautschukbooms Ende des 19. Jahrhunderts. Sie kannten Metallgegenstände und nahmen sie mit. Daher finden sich eine Machete und ein Metalltopf auf einem der Fotos. Isolierte Völker – weltweit noch etwa 100 – gehören zu den verletzbarsten Kulturen. Jeder Kontakt mit Fremden kann tödlich sein, weil ihr Immunsystem eingeschleppte Krankheiten nicht abwehren kann. Ein jüngstes Beispiel aus Peru – die Murunahua. Nach Erstkontakten mit Holzfällern starb die Hälfte von ihnen.

Auf brasilianischem Gebiet überwacht die FUNAI seit Jahren die nicht kontaktierten Ethnien. Ab und zu ein Kontrollflug. Dass sie – nun schon zum zweiten Mal – Fotos von »indios isolados« freigibt, geschieht in akuter Notlage. »Ihre Existenz wird angezweifelt«, sagt Carlos Meirelles.

Die Zweifler sitzen vor allem im benachbarten Peru. Politik und Wirtschaft stehen auf ihrer Seite. Der Wettlauf um Ressourcen – Edelhölzer, Erdgas, Erdöl – hat die geschlossenen Regenwälder im Grenzgebiet erreicht. Den peruanischen »isolados« rücken illegale, bewaffnete Holzfällertrupps immer näher. Es bleibt ihnen nur ein Fluchtweg – über die unsichtbare Grenze nach Brasilien. Doch dort geraten sie in einen unheilvollen Strudel. Traditionelle Jäger- und Sammlerkulturen benötigen große Waldgebiete, um zu überleben. Die Flüchtenden treffen auf bereits besetzte Lebensräume. Konflikte zwischen den »isolados« sind kaum vermeidbar.

Es gibt nur eine Lösung: Der Staat Peru muss die Siedlungsgebiete seiner nicht kontaktierten Indígenas respektieren. Er zählt zu den Unterzeichnern der ILO-Konvention 169, in der die Lebensrechte indigener Völker garantiert sind. Als FUNAI und Survival International 2008 erstmals »isolado«-Fotos veröffentlichten, standen auch die Ölfirmen in der Kritik. Perus Präsident Alan García hatte Konzessionen zugestimmt. Petrolifera, Perupetro, Perenco, Repsol-YPF, Pluspetrol und andere, sie alle planten schon, entsandten Trupps in den unbekannten Dschungel. Auf brasilianischer Seite belegten Funde – Lagerplätze, Pfeile – die panische Flucht von »isolados«.

Survivals Proteste zeigten seit 2008 nur halbherzige Wirkungen. Peru versprach Untersuchungen und Berichte. Doch die Verantwortlichen wiegelten ab, sobald sie von Morden an »isolados« hörten. Landesweite Indígena-Proteste gegen die Plünderung Amazoniens endeten in Polizeigewalt.

Am 3. Februar hat BBC 1 den Film aus Brasilien ausgestrahlt. Auf der neuen Internetseite von Survival ist er zu sehen (www.uncontactedtribes.org/filmbrasilien); ebenso Fotos von Gleison Miranda (www.uncontactedtribes.org/brazilphotos).

Einen Tag zuvor hat Perus Außenminister José Antonio García Belaúnde erklärt, er wolle künftig mit der FUNAI zusammenarbeiten, um »die Region effektiver zu schützen«. Ein Versprechen zunächst, doch ein Erfolg! Survival ruft weiter zu Petitionen an Perus Präsidenten auf.

Mehr Infos zu den Petitionen: www.survivalinternational.de

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