Dresdner Nazi-Pleite mündet in Häuserkampf

Polizeischelte nach Razzia bei »Nazifrei«-Bündnis und Angriff auf alternatives Wohnhaus

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach dem verhinderten Naziaufmarsch in Dresden wächst die Kritik an der Polizei, die bei einer Razzia in den Räumen der Stadt-LINKEN schwere Fehler beging, aber ein alternatives Wohnprojekt nicht vor Nazis schützte.
Spuren der Polizei-Verwüstung im Dresdner »Haus der Begegnung« ND-Screenshot: Wolfgang Frotscher
Spuren der Polizei-Verwüstung im Dresdner »Haus der Begegnung« ND-Screenshot: Wolfgang Frotscher

Die Polizeirazzia in der Pressezentrale des Bündnisses »Dresden nazifrei« am Samstagabend ruft Empörung hervor. Nachdem Gegendemonstranten Naziaufmärsche in der Stadt verhindert hatten, versuche das Landeskriminalamt Sachsen (LKA), diesen »legitimen, demokratischen Protest zu kriminalisieren«, heißt es in einem offenen Brief, dessen Unterzeichner die Grüne Astrid Rothe-Beinlich, der Jenaer OB Albrecht Schröter, LINKE-Chef Klaus Ernst und Liedermacher Konstantin Wecker sind.

Die Polizeiaktion richtete sich gegen das »Haus der Begegnung« (HdB), in dem die Stadtgeschäftsstelle der LINKEN, einige Vereine und ein Anwalt ansässig sind. Das Gebäude war von einem Sondereinsatzkommando gestürmt worden. Dabei wurden Türen aufgesägt, Räume durchsucht, Rechner beschlagnahmt, 15 Anwesende, darunter zwei ältere Ehrenamtliche der LINKEN, über Nacht in Gewahrsam genommen, berichtet André Schollbach, Fraktionschef im Stadtrat. Die Beamten hätten neben den Räumen des Jugendvereins »Roter Baum«, die laut einem nur mündlich mitgeteilten Durchsuchungsbefehl das Ziel der Aktion waren, auch Büros der Partei, des Rechtsanwalts sowie eine Privatwohnung durchwühlt.

André Schollbach, selbst Jurist, wirft den Beamten vor, »jedes Maß verloren« und »ein Exempel statuiert« zu haben, nachdem die Polizeitaktik zur Trennung von Nazis und Gegendemonstranten und der Verhinderung jeglicher Blockaden gescheitert war. Die Durchsuchung sei »ersichtlich rechtswidrig« gewesen. Den Sachschaden in Höhe von mehreren tausend Euro werde man dem Freistaat in Rechnung stellen. Über politisch-parlamentarische Konsequenzen aus dem Fall will die LINKE heute informieren; gestern sollte zunächst der Aktenvermerk der Richterin eingesehen werden, die die Razzia genehmigt hatte. Der Dresdner Anwaltverein nannte derweil die Durchsuchung der Anwaltskanzlei einen »unglaublichen Vorgang«. Das Bündnis »Dresden nazifrei« sieht die Aktion als Racheakt.

Die Staatsanwaltschaft Dresden verteidigte gestern das Vorgehen. Die Pressezentrale von »Dresden nazifrei« sei durchsucht worden, weil der Verdacht der »Bildung einer kriminellen Vereinigung und der Anstiftung zu Gewaltstraftaten« bestehe, so Sprecher Jan Hille. Früheren Aussagen eines Kollegen, wonach nur Räume des »Roten Baums« im Visier gewesen seien, widersprach er mit Hinweis auf »Kommunikationsprobleme«. Die Überwachung von Telefonaten habe den Verdacht auf das HdB gelenkt, nicht auf konkrete Räume: »Wir mussten den gesamten Gebäudekomplex durchsuchen.« Den Vorwurf übertriebener Härte wies er zurück. Türen habe man aufgebrochen, weil »ein gewisses Überraschungsmoment« nötig war.

Ob derlei Begründungen ausreichen, den Einsatz zu rechtfertigen, ist abzuwarten. Generell wird das Verhalten der Polizei am Samstag Nachwehen haben. Nur einen Tag, nachdem Polizeipräsident Dieter Hanitsch die starke Gewalt gegen die Beamten beklagt und die Einsetzung einer »Sonderkommission 19. Februar« angekündigt hatte, warf die SPD der Polizei »Totalversagen auf ganzer Linie« vor und beantragte eine Sondersitzung des Innenausschusses. Stadt, Freistaat und Polizei hätten die Situation »nicht ansatzweise im Griff« gehabt, sagte Fraktionschef Martin Dulig. Er frage sich, warum angesichts der Lage nicht der polizeiliche Notstand ausgerufen wurde. Nicht nur Dulig wies darauf hin, dass die Überforderung der 4500 Polizeibeamten noch fatalere Folgen hätte haben können, wenn wie angekündigt 4000 oder mehr Nazis nach Dresden angereist wären. Einen Eindruck davon vermitteln Bilder einer Attacke militanter Nazis auf das alternative Wohnprojekt »Praxis« im Stadtteil Löbtau. Das wurde durch eine Gruppe von 50 Nazis angegriffen, die mit Steinen und Stangen auf das Gebäude losgingen und »Wir kriegen Euch alle« skandierten. Unklar ist, warum das Gebäude nicht geschützt wurde, obwohl es nicht nur auf der eigentlich für die Nazis reservierten Altstädter Elbseite liegt, sondern als Ziel für Attacken bekannt ist. 2010 wurde das Haus, an dessen Fassade die Parole »Es ist immer Sommer« prangt und dessen Bewohner Nachbarn zufolge »jeder Militanz unverdächtig« sind, just am Vorabend des 13. Februar von Rechten angegriffen; im August folgte ein Brandanschlag.

Polizeichef Hanitsch hat angekündigt, den Vorfall untersuchen zu wollen. Er erklärte zudem, die Polizei habe »die Lage bereinigt«. Ein Video, das im Internet zu sehen ist, zeichnet ein anderes Bild: Demnach standen wenige hundert Meter entfernt zwei Streifenwagen der Polizei, ohne in das Geschehen einzugreifen.

Derweil wurde gestern bekannt, dass die Staatsanwaltschaft gegen 70 Teilnehmer von Blockaden, darunter Landtagspolitiker von LINKE, SPD und Grünen, wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz vorgehen will. Die FDP fordert eine gerichtliche Prüfung, wie die Stadt »durch Auflagen gewalttätige Exzesse von Extremisten unterbinden kann«. Dazu solle Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts eingelegt werden, das die Nazi-Veranstaltungen am Samstag erst erlaubt hatte.

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