Richterspruch mit Folgen

NRW: Verfassungsgericht entscheidet über Nachtragshaushalt / Neuwahl nicht ausgeschlossen

  • Marcus Meier, Köln
  • Lesedauer: 3 Min.
In Münster gibt heute das Verfassungsgericht seine Entscheidung zum Nachtragshaushalt 2010 in Nordrhein-Westfalen bekannt.

Wenn die Richterinnen und Richter um halb elf den Sitzungssaal I des NRW-Verfassungsgerichts betreten, dann ist ihnen die Aufmerksamkeit der Republik sicher. Denn die Damen und Herren werden nicht weniger verkünden als ihren Entscheid im »verfassungsgerichtlichen Verfahren betreffend das Nachtragshaushaltsgesetz 2010«.

Und der birgt einigen Sprengstoff. Zuletzt überboten sich Politiker aller im Landtag vertretenen Parteien (mit Ausnahme der LINKEN) in der Forderung nach Neuwahlen. Geklagt haben die Landtagsabgeordneten von CDU und FDP – sie wollen feststellen lassen, dass der Mitte Dezember beschlossene Sonderetat verfassungswidrig ist, weil er, so das schwarz-gelbe Hauptargument, die Kreditobergrenze überschreite und, in politischen Termini gesprochen, eine »Schuldenorgie« darstelle.

Der Kläger Chancen stehen nicht so schlecht: Bereits im Januar hatten die Münsteraner Richter Rot-Grün per einstweiliger Anordnung untersagt, weitere Schulden im Rahmen des Nachtragshaushaltes aufzunehmen. In der mündlichen Verhandlung Mitte Februar stellten die Richter den Beklagten peinliche Fragen: Warum wurde ein derart hoher Milliarden-Betrag zur Absicherung der WestLB-Risiken eingeplant? Auf welcher rechtlichen Grundlage erfolgten Millionen schwere Zahlungen an Kitas und Kommunen? Nein, unumstritten dürfte der Nachtragshaushalt bei den Richtern nicht sein.

Vor Neuwahlen warnt Jürgen Trittin die NRW-Koalitionäre. »An der Realität der Verfassung würden Neuwahlen nichts ändern«, so der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion gegenüber dem »Spiegel«. Werde der Haushalt für verfassungswidrig erklärt, müsse er »entsprechend korrigiert werden, so bitter das sein mag«.

Für derartige »Korrekturen« stünde die Linkspartei nicht parat. Bisher Hauptpartner von Rot-Grün, pflegt die LINKE sich auf ihre »roten Haltelinien« zu berufen: Sie werde weder Personal- noch Sozialabbau mittragen, geschweige denn Privatisierungen öffentlichen Eigentums ihr Plazet geben. Einen Sparhaushalt, wie er von FDP und CDU gefordert wird, wie ihn eine entsprechende Entscheidung aus Münster erzwingen würde, wäre mit der LINKEN wohl nicht umzusetzen. Auch die Sparkommissare von CDU und FDP würden der rot-grünen Konkurrenz kaum zum Nulltarif zu Willen sein.

Längst haben die beiden bürgerlichen Parteien angekündigt, auch gegen den regulären Haushalt 2011 klagen zu wollen, über den der Landtag derzeit verhandelt. Danach verschärfte sich die Neuwahl-Debatte: Im Falle einer erneuten Klage will die Landesregierung sofort Neuwahlen in die Wege leiten. Laut Umfragen würde es danach wohl für eine rot-grüne Mehrheit im Landtag reichen – bei gestärkten Grünen. Dabei berücksichtigen die entsprechenden Umfragen noch nicht etwaige Wählerwanderungen nach den nuklearen Katastrophen in Japan. Ob sie FDP und LINKE einen Wiedereinzug in den Landtag prognostizieren sollen: Darüber sind sich die Demoskopen nicht einig.

Juristisch entscheidend für die Verfassungsrichter ist, ob bei Verabschiedung des Nachtragshaushaltes im Dezember 2010 eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes vorlag. Nur dann, so sehen es die schwarz-gelben Kläger, darf die Kreditobergrenze überschritten werden. Die Kreditsumme darf »in der Regel« (Landesverfassung) nicht höher liegen als die Ausgaben für Investitionen. Ausgaben für die (frühkindliche) Bildung werden dabei nicht als Investition gewertet.

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