Der Schockstarre folgen Zweifel
Japan ist das am meisten erdbebengefährdete Land der Welt. Das war auch der japanischen Regierung klar, die jahrzehntelang auf den Ausbau der Atomkraft gesetzt hat, um die Energieversorgung der ressourcenarmen Nation zu sichern. Nach aktuellem Wissensstand heißt es, die Reaktoren haben den Erdstößen der Stärke 9,0 auf der Richterskala standgehalten. Alle Reaktoren schalteten sich planmäßig ab. Ausgelöst wurde die Katastrophe durch den nachfolgenden Tsunami, der das Notkühlsystem lahmlegte.
Trotz des verheerenden Tsunamis, der im Jahr 2004 weite Teile Südostasiens verwüstete, haben die Verantwortlichen in Japan offenbar nicht darüber nachgedacht, was eine solche Flutwelle in den 54 Atomreaktoren des Landes anrichten könnte. Das ist grob fahrlässig.
Obwohl Japan als einziges Land das unvorstellbare Leid einer atomaren Bombardierung erlebt hat, gab es gegen die friedliche Nutzung der Atomenergie nie nennenswerten Widerstand. Im Gegenteil. Gemeinden in strukturschwachen Regionen boten sich gegen üppige Subventionsversprechen bereitwillig als Standorte für Atomkraftwerke und Lagerstätten für Atommüll an. Über die Gefahren, die bei einem Megabeben drohen, haben weder die Betreiberfirmen noch die Regierung ausreichend informiert.
Noch ist die Bevölkerung in Schockstarre. Noch geht es gerade in den am schlimmsten betroffenen Gebieten ums nackte Überleben. Aber auch wenn es den Ingenieuren tatsächlich gelingt, die ganz große Katastrophe abzuwenden, werden Bevölkerung und Politiker nicht länger die Augen vor den Gefahren der Atomkraft in einem extrem erdbebengefährdeten Land verschließen können. Ganz sicher wird sich die Bevölkerung in Zukunft nicht mehr mit ein paar Subventionen ködern lassen. Wenn erst einmal wieder halbwegs Normalität in das Alltagsleben eingetreten ist, werden sich die Japaner dieser überfälligen nationalen Diskussion stellen müssen – zumal auch in den regionen südlich des jetzt direkt betroffenen Gebiets in absehbarer Zeit schwere Erdbeben und Tsunamis erwartet werden. Auch dort gibt es Atomreaktoren.
Susanne Steffen, Tokio
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