Das Null-Kontrolle-Modell

Greifswald plant ein Technisches Rathaus – Chronik eines millionenschweren Provinzskandals

  • Velten Schäfer, Greifswald
  • Lesedauer: 6 Min.
Sechs Millionen Euro sollte das neue Bürger- und Verwaltungszentrum am Greifswalder Markt noch 2007 kosten. Nun wird es mindestens doppelt so teuer. Wie konnte es so weit kommen – und wer hat das wann gewusst?
Die denkmalgeschützte »Alte Post« am Greifswalder Markt soll ein Behördenzentrum werden – Preisexplosion inklusive.
Die denkmalgeschützte »Alte Post« am Greifswalder Markt soll ein Behördenzentrum werden – Preisexplosion inklusive.

Mutmaßlich geht es Reinhard Arenskrieger nicht so gut im Moment. Der CDU-Politiker ist vergangenes Jahr vom Posten des Baudezernenten in Greifswald nach Schwerin als Vize an den Landesrechnungshof gewechselt. Schon das ist nicht gerade glatt gelaufen. Arenskrieger verfehlte im ersten Wahlgang die geforderte Zweidrittelmehrheit. Und dass er in einer zweiten Runde dann doch gewählt wurde, hat die Linkspartei sogar vor Gericht angefochten: ein zweiter Wahlgang sei illegal gewesen. Erfolgreich war die Oppositionsklage zwar nicht – aber die Lage um den CDU-Mann will sich trotzdem nicht beruhigen.

Ausgerechnet ihm, der am Landesrechnungshof die Kommunalfinanzen kontrollieren soll, wird vorgeworfen, mit dem Geld der Greifswalder reichlich freihändig umgegangen zu sein, als er dafür zuständig war. Und noch dazu kommen die Vorwürfe zunehmend aus dem eigenen Lager.

Die Geschichte, die seit vergangenem Sommer von einem Untersuchungsausschuss in der Greifswalder Bürgerschaft aufgerollt worden ist, dessen Ergebnisse nun erwartet werden, beginnt Ende 2006. Die Bürgerschaft beschließt, das historische Postgebäude am Markt zu erwerben, ein charakteristisches denkmalgeschütztes Backsteingemäuer. Darin soll das Technische Rathaus, ein Bürger- und Verwaltungszentrum errichtet werden – was unbestritten Not tut in Greifswald, denn bisher sind die Behörden überall in der Stadt verteilt und teils in einem schlechten Zustand.

Sechs Millionen Euro sollte das Kosten, bereits das ist ein stolzer Betrag für das vorpommersche Oberzentrum. Doch gab es einen Bedarf und das langgestreckte Gebäude, das eine Längsseite des repräsentativen Marktes einnimmt, brauchte eine neue Nutzung. Zudem gibt es hinter und neben dem historischen Gebäude ausreichend Platz für Anbauten. Das Gesamtpaket, sagt auch der örtliche Linken-Fraktionschef Gerhard Bar- tels, habe damals noch plausibel geklungen.

Doch kommt es, wie man es sich vorstellt in solchen Fällen. Bereits ein gutes Jahr nach dem 6-Millionen-Beschluss flattert eine neue Vorlage aus der Bau-Verwaltung auf den Tisch der Bürgerschaft: Unter anderem wegen aufwendiger Pfahlgründungen für die Neubauelemente – eine Mehrheit der Bürgerschaft akzeptiert den Nachschlag.

Danach, so Bartels, hatte man lange nichts mehr gehört vom Planungsprozess um das Technische Rathaus. Bis zum März 2010, als Ahrenskrieger nach Schwerin wechselt. Kaum ist er weg, wird nachgerechnet – und plötzlich stellt sich heraus, dass man inzwischen von 13,5 Millionen redet, noch immer ohne den erforderlichen Grunderwerb.

Eine Großausgabe in kleinen Scheibchen

Dies aber will die Bürgerschaft – in Greifswald gibt es keine feste Ratskooperation, sondern ein Entscheiden von Fall zu Fall – dann doch nicht schlucken. Es gibt einen Baustopp, eine Menge Aufregung, die Bürgerschaft bildet gleich zwei Sonderausschüsse. Der eine, der den Arbeitstitel »Wie Weiter« trägt, hat sein Ergebnis bereits verkündet: Das Technische Rathaus kommt, in einer etwas kleineren Dimension; an den Anbauten wird festgehalten.

Was nunmehr auf dem Papier steht sind »nur« noch zwölf Millionen Euro. Auch ohne den Grunderwerb, für den laut Bartels bereits rund zwei Millionen Euro ausgegeben wurden – und ohne die üblichen zehn Prozent, um die derartige Bauten durchschnittlich teurer werden. »Am Ende reden wir von etwa 16 Millionen«, ärgert sich Bartels, der eine kleine Lösung bevorzugen würde – in Grenzen der einst veranschlagten finanziellen Dimensionen.

Doch beschlossen ist beschlossen. Ungefähr 7 Millionen an Fördermitteln, rechnet Bartels vor, wird es für das Vorhaben geben, auf neun Millionen würde die Stadt sitzen bleiben. Das bindet den Großteil der Greifswalder Sanierungsmittel auf mindestens zwei oder drei Jahre, ärgert sich Bar-tels. Und auch das Hauptargument dafür, nämlich die Zusatzverluste, die die Stadt bei einem Ausstieg erleiden würde, leuchtet ihm nicht ein. Am Ende, sagt er, wäre das noch immer weit günstiger gewesen. Und es würde nicht danach aussehen, als hätte sich die Bürgerschaft scheibchenweise in ein finanzielles Abenteuer ziehen lassen.

Doch soll der Fall, zumindest wenn es nach Linkspartei und Grünen am Bodden geht, so einfach nicht vom Tisch. Zur Zeit verhandeln die Fraktionen nämlich über das Ergebnis der zweiten Bürgerschafts-Arbeitsgruppe – der zu der klassischen Frage, wer wann und was gewusst hat von der Kostenexplosion. Und nach einem guten halben Jahr Aktenstudium und Ausschuss-Befragungen steht zumindest für Linkspartei und Grüne fest, dass das Thema damit noch nicht gegessen ist. »Die CDU tut jetzt so, als sei das alles nur Sache von Herrn Arenskrieger gewesen«, sagt Bartels.

So aber, und das können die Kritiker inzwischen belegen, war es nicht ganz. Zumindest einer aus der Greifswalder Unionsspitze muss spätestens im Februar 2010 von der Kostensteigerung erfahren haben: Egbert Liskow, CDU-Landtagsabgeordneter und Direktkandidat für die Landtagswahl im Herbst. Liskow war im Februar 2010 zusammen mit Arenskrieger auf einem Termin im Schweriner Bauministerium, bei dem es um eine den Mehrkosten adäquate Aufstockung der Landesförderung ging. Der Bürgerschaft hat er offenbar nichts davon gesagt.

Einheit von Bauherr, Planer und Kontrolleur

Oberbürgermeister König allerdings war wohl informiert – per E-Mail. Eine Kopie dieser Mail tauchte 2010 plötzlich in der »Ostseezeitung« auf. In Greifswald gibt es viele, die Arenskrieger hinter dieser Indiskretion vermuten: Er habe zeigen wollen, dass er nicht als Einziger geschwiegen hat. König dagegen hat sich vor dem Untersuchungsausschuss in Widersprüche verwickelt. Wo er offiziell behauptete, bis Anfang April 2010 nichts gewusst zu haben, sagte er vor dem Ausschuss, er habe 2009 einmal von 12 Millionen gehört. Doch habe er das alles dem zuständigen Dezernenten überlassen – Reinhard Arenskrieger.

Auf den Abschlussbericht des Bürgerschaftsausschusses wartet man in Greifswald mit einiger Spannung. Einige Fragen aber wird auch dieser Bericht nicht beantworten können. Wie es zum Beispiel so weit kommen könne, dass nur ein Unternehmen – die BaubeCon mit Sitz in Osnabrück, die seit den frühen 1990ern schon exklusiver Sanierungsträger am Bodden ist, bei einem derart großen Vorhaben zudem auch noch als Bauherr, Planer und Projektsteuerer auftreten konnte. Bekannt ist dagegen zumindest eine wilde Blüte, die diese Situation getrieben hat: In etwa eine halbe Million Euro hat ein Mitarbeiter der BauBeCon der Firma quasi selbst für Plaungsausgaben genehmigt – mit einer eingescannten Unterschrift des Oberbürgermeisters.

Was Reinhard Arenskrieger, der seinerzeit ebenfalls aus Osnabrück nach Greifswald gekommen ist, zu solchen Praktiken zu sagen hat und wie genau dieses seltsame Null-Kontrolle-Bauherrenmodell zustande gekommen ist, bleibt einstweilen auch im Dunkeln. Bisher hat Arenskrieger nicht auf die Fragen des Bürgerschaftsausschusses reagiert – und der ist auf freiwillige Kooperation angewiesen. Eins aber steht auch für Gerhard Bartels auf der positiven Seite nach nahezu einem Jahr Rathausneubauskandal: Die BauBeCon nun nichts mehr mit dem Vorhaben zu tun.

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