Für eine tabulose Diskussion

Ursachen- und Themensuche nach dem verpassten Einzug der LINKEN in Baden-Württemberg

  • Lesedauer: 3 Min.
Mit 2,8 Prozent hat die LINKE Baden-Württemberg ein desaströses Wahlergebnis einstecken müssen. Vor allem für die 3200 Mitglieder und ihre Kandidaten war das überraschend schlecht. ND-Autorin BARBARA MARTIN sprach mit dem Spitzenkandidaten ROLAND HAMM über Ursachen und Konsequenzen.

ND: Alle Umfragen vor der Wahl sahen die LINKE bei vier bis fünf Prozent, dann wurden es nur 2,8 Prozent. Woran lag's?
Hamm: Ich bin der Überzeugung, dass wir in der polarisierten Wahlkampfsituation zwischen Mappus-weg beziehungsweise Schwarz-Gelb abwählen und dem Kernthema Atomkraft zerrieben worden sind. Darauf deutet auch hin, dass wir um die 33 000 Stimmen an die Grünen verloren haben. Zwar haben wir in etwa gleich viele Stimmen aus dem Lager der Nichtwähler und anderer Parteien bekommen, aber selbst mit den zu Grün abgewanderten Stimmen wären wir knapp unter fünf Prozent geblieben. Die LINKEN-Kernthemen soziale Gerechtigkeit und Kampf gegen soziale Ausgrenzung durch Hartz IV haben in Baden-Württemberg eine deutlich geringere Rolle als Umweltthemen gespielt.

Ist das tatsächlich überraschend in einem so reichen Land wie Baden-Württemberg mit einer Arbeitslosenquote von 4,5 Prozent?
Na ja, auch wenn die offizielle Arbeitslosenquote niedrig ist, haben wir ja trotzdem Arbeitslosigkeit und die zunehmende Spaltung der Arbeitsgesellschaft durch Billigjobs und Leiharbeit. Aber im Vergleich zu anderen Bundesländern scheint das in Baden-Württemberg nicht ausreichend getragen zu haben. Es war als unser Thema im Wahlkampf trotzdem richtig.

Aber es ist offenbar zu wenig, um Wählerstimmen zu bekommen.
Das ist zu wenig, ja. Wir müssen jetzt überlegen, womit die LINKE in Baden-Württemberg Profil bekommen kann. Sicher nicht mit dem Atomkraft-Thema, das ist ein originales Grünen-Thema.

Welche Gebiete könnte die LINKE denn sinnvoll besetzen?
Ich will da nicht vorgreifen. Aber ich denke, der sozial-ökologische Umbau wäre so ein Thema für uns. Baden-Württemberg steht vor großen Herausforderungen. Wer die Energiewende will, muss auch für alle bezahlbare Strompreise im Blick haben. Auch der Umbau der EnBW zu einem Energiekonzern für erneuerbare Energien wird ein hartes Stück Arbeit.

Ob Grün-Rot das konsequent betreibt, wird man sehen. Darauf zu achten, wäre ein Thema für die LINKE. Dazu gehören auch die Fragen, wie wir die Industriegesellschaft umbauen? Wie schaffen wir es, die industriellen Kerne, die ja für Wohlstand und Sicherheit sorgen, weiter zu entwickeln? Erreichen wir internationale Wettbewerbsfähigkeit durch die Spaltung der Arbeitsgesellschaft – wie die Politik das bisher betrieben hat – oder durch den Umbau hin zu ökologischer Produktion? Ich denke, da könnte der bei uns starke gewerkschaftliche Flügel etwas bewegen.

Ist dieser gewerkschaftliche Flügel der LINKEN Baden-Württemberg, dem Sie als IG-Metall-Bevollmächtigter von Aalen und Schwäbisch Gmünd angehören, nicht gerade mit dem Wahlergebnis abgestraft worden?
Meiner Einschätzung nach nicht. Wie die Fremdeinschätzung ist, bleibt abzuwarten. Ich will jetzt eine tabulose Diskussion in der Partei, zunächst auf Regionalversammlungen, damit es konkret wird. Wir müssen diskutieren, was gut und nicht gut war, welche Anforderungen an die Partei bestehen. Anschließend muss das dann auf einem Landesparteitag behandelt werden.

Ist denn Bereitschaft da, sich ernsthaft auseinanderzusetzen oder ist der Frust gerade zu groß?
Niemand sagt, wir gehen uns jetzt aufhängen (lacht). Ich habe auf meinem Facebook-Account und per E-Mail nur Nachrichten nach dem Motto, »gut gemacht« und »lass uns weiterkämpfen«. Keine einzige negative Botschaft. Und das ist jetzt kein Zweckoptimismus. Natürlich müssen wir nüchtern analysieren, wo die Gründe für die Niederlage liegen. Es wäre dumm, zu sagen, wir haben alles falsch gemacht. Und es wäre genauso dumm, zu sagen, nur die Atomdebatte und Mappus-weg haben uns das Wahlergebnis beschert. Weder das eine noch das andere würde uns weiterhelfen. Ich selbst werde meinem Kreisverband in Aalen vorschlagen, jetzt erst recht ein Regionalbüro einzurichten. Das soll ein kommunalpolitischer Anlaufpunkt sein und wir sollten Sozialberatung anbieten. Damit will ich signalisieren: Die LINKE gibt es sichtbar weiter und wir gehen näher an die Menschen ran.

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