Verfassungsschutz lässt keine Einsicht zu

Berliner Sozialforum wurde über Jahre bespitzelt / Senatsverwaltung weigert sich, die Akten herauszugeben

Das Berliner Sozialforum trat nun nicht gerade als konspirative Gruppe in Erscheinung. Es legte Wert darauf, ein offenes Bündnis zu sein und brachte unterschiedliche linke Basisinitiativen zusammen. Das zog auch Spitzel des Verfassungsschutzes an, was der »Spiegel« aufdeckte. Die »Quellen 450001 und 440008« hätten mehrmals von internen Treffen rapportiert, und auch der »Informant 440004« spähte Mitglieder des Bündnisses aus.

Mehrere Aktivisten aus dem engeren Kreis des Sozialforums beantragten daraufhin beim Landesamt für Verfassungsschutz Akteneinsicht, die jedoch mit der pauschalen Begründung abgelehnt wurde, dass dies Einblicke in die Arbeitsweisen des Verfassungsschutzes gäbe. Daran hält das Amt bis heute fest. Die Aktivisten des Sozialforums wollen sich damit jedoch nicht abfinden und lassen sich auf einen langwierigen Rechtsstreit ein.

In der ersten Instanz erhielt der Sozialwissenschaftler Wilhelm Fehse zwar Recht – nicht alle mit nachrichtendienstlichen Mitteln gewonnenen Informationen würden Geheimnisschutz genießen, urteilte das Verwaltungsgericht. Dagegen legte jedoch die Senatsverwaltung Berufung ein. Auch die gestrige Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht brachte keine Einigung: Der Richter gab der Klage statt, allerdings beharrt der Verfassungsschutz auf seinen Prinzipien und will sich nicht in die Akten schauen lassen. Ob die Informationen wirklich schützenswert sind, davon will sich das Oberverwaltungsgericht nun selbst überzeugen und fordert eine Einsicht in die Geheimdienstnoten an. Bislang weiß nämlich nur der Verfassungsschutz selbst, wie umfangreich seine Informanten Wilhelm Fehse bespitzelten.

Das Landesamt gewährte einzig dem Politologen Peter Grottian, als wohl prominentestem Aktivisten des Sozialforums, einen Blick in die Akten – nachdem sich das Abgeordnetenhaus mit der Spitzelaffäre auseinandersetzte und der Innensenator Ehrhart Körting (SPD) unter Druck geriet.

Was der Professor auf 80 Seiten zu lesen bekam, überraschte ihn. Die Aufzeichnungen über einen Zeitraum von vier Jahren stellten ein Armutszeugnis für den Verfassungsschutz dar. Sie seien mit Rechtschreibfehlern gespickt, und bisweilen fühlt er sich in den Diskussionen falsch wiedergegeben.

Der Politologe stutzt noch immer über die Überwachung. Schließlich ist er dafür bekannt, stets mit seinem Namen für sein Handeln einzustehen. So rief er zum kollektiven Schwarzfahren in der Bahn auf, um gegen die Abschaffung des Sozialtickets zu protestieren, und erhielt dafür eine Strafe von 3000 Euro.

Dass sich ein breit aufgestelltes Sozialforum in Berlin nicht etablieren konnte, bedauert er. Eine Zusammenarbeit von Initiativen findet er unerlässlich. Der Finanzkrise folgte schließlich der Sozialabbau, aber der allseits versprochene »heiße Herbst« blieb aus. Grottian konstatiert: »Mit unseren Protesten sind wir nicht weit gekommen.«

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