Prosperität kontra Risiko?

Die Kapitalismuskritik des Werner Seppmann

  • Erhard Crome
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Titel verspricht eine Monographie. Am Schluss der Einleitung jedoch wird mitgeteilt, es handele sich hier um eine Sammlung von Texten aus den vergangenen fünf Jahren. Etliche sind mit Gewinn zu lesen, etwa zu konstruktivistischen Theoriebildungen, Poststrukturalismus und postmodernen Diskurslinien. Texte über die Folgen von sozialer Ausgrenzung, den Zusammenhang von Armutsgesellschaft und psychischen Erkrankungen, Arbeitslosigkeit als strukturelle Gewalt sowie Medienmacht und Manipulation bieten interessante Lektüre.

Problematisch ist die Einordnung in Kapitalismuskritik. Zuerst ein Paukenschlag: »Prognosen über einen Niedergang des Kapitalismus waren offensichtlich wieder einmal verfrüht«, trotz Weltwirtschaftskrise. Dafür macht Werner Seppmann die »ideologischen Apparate« verantwortlich. Obwohl er bei anderen Autoren mangelnde Kapitalismuskritik und ungenügenden Bezug auf Marx moniert, kommt er nicht mit ihm auf die Frage, ob das herrschende kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem jene Kräfte bereitstellte, die zur Bearbeitung der Krise zunächst hinreichend waren. Die Fortexistenz »des Kapitalismus« wird zur ideologischen statt zur Frage nach der ökonomischen Basis, »der Kapitalismus« zum handelnden Subjekt, das »seine triumphalistische Selbstgefälligkeit« verbreitet und es versteht, »die Menschen emotional und geistig an sich zu binden«.

Die Bewertung der gegenwärtigen Entwicklungsphase des Kapitalismus gerät widersprüchlich. Vom Gegenwartskapitalismus gingen nur noch selten positive Entwicklungsschübe aus, meint Seppmann. Dann aber heißt es, »die Möglichkeiten zur Befriedigung der Lebens- und Kulturbedürfnisse für alle Menschen« würden »gerade durch die kapitalistische Revolutionierung der Produktivkräfte fast ins Unermessliche« gesteigert. Der Autor meint, der Kapitalismus sei insgesamt »in ein sozial-destruktives Entwicklungsstadium eingetreten«. Dieses nennt er »Risiko-Kapitalismus«. Von Fordismus und Postfordismus will er nichts wissen, sondern unterscheidet »Prosperitäts- und Risiko-Kapitalismus«. Die Inanspruchnahme des Wortes »Prosperitäts-Kapitalismus« als Bezeichnung für die Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg, deren Eigenheiten von Produktivitätsentwicklung, Wohlstandssteigerung und Sozialstaatlichkeit – was gemeinhin als Fordismus bezeichnet wird – er zutreffend beschreibt, blendet allerdings aus, dass jedes Entwicklungsstadium des Kapitalismus auch Prosperitätsphasen hatte.

In der Konsequenz möchte er den Terminus »allgemeine Krise des Kapitalismus« wieder einführen (die Benennung ordnet er fälschlicherweise Lenin und nicht Eugen Varga zu), vergisst dabei aber, dass deren Hauptkriterium die Entstehung der sozialistischen Länder gewesen war, die bekanntlich nicht mehr existieren.

Schließlich diagnostiziert Seppmann »eine globale Wohlstandsminderung«, verallgemeinert dabei aber die Krisen-Befunde zu Nordamerika und Westeuropa. Die gegenläufigen Aufstiegsprozesse in China, Indien und anderen Ländern Asiens schrumpfen zu Vorgängen »in den neuen Freibeuterzonen des Kapitals«; die weltwirtschaftliche Tragweite der tektonischen Verschiebung nach Asien wird ignoriert.

Und die Alternativen? Am Ende plädiert Seppmann für Arbeitszeitverkürzung, eine Art Grundeinkommen und eine Verbindung von Arbeit und lebenslangem Lernen, von »Recht auf Arbeit« und »Recht auf Bildung«, kombiniert »mit der Idee kollektiver Selbstbestimmung«.

Die »andere Welt« soll eine sozialistische sein. Allerdings bleiben Seppmanns Überlegungen über Ursachen des Scheiterns des »Frühsozialismus« recht kursorisch. Die analytischen Resultate der linken, sozialismus-orientierten Debatten zu diesem Thema in den vergangenen zwanzig Jahren reflektiert er nicht. Etwas ratlos legt der Rezensent das Buch wieder aus der Hand.

Werner Seppmann: Risiko-Kapitalismus. Krisenprozesse, Widerspruchserfahrungen und Widerstandsperspektiven. PapyRossa Verlag, Köln. 272 S., br., 17,90 €.

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