Kriege sind niemals »humanitär«

Zwischen Hamburg und München – Widerstand gegen NATO-Kriegspolitik

  • Susann Witt-Stahl und René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Totgesagte leben länger! Gegen alle Unkenrufe – die Ostermärsche erhielten Zulauf. Bundesweit. Bei den Veranstaltungen begegneten sich zahlreiche vor allem junge Menschen, die sich ihrer Gemeinsamkeit so bislang nicht bewusst waren.

Der Libyenkrieg, die wachsende Angst vor den Gefahren der Atomkraft und das fantastische Wetter mögen die Gründe gewesen sein für die gute Beteiligung in Hamburg: Rund tausend Menschen, etwa 400 mehr als im vergangenen Jahr, folgten in der deutschen Geburtsstadt der Ostermarsch-Bewegung dem Aufruf, für Frieden zu marschieren.

Als Treffpunkt hatten die Demonstranten dieses Jahr das von Antimilitaristen als »Kriegsklotz« geschmähte Kriegerdenkmal hinter dem Dammtor-Bahnhof gewählt – das nicht zuletzt wegen der Aufschrift »Deutschland muss leben und wenn wir sterben müssen« umstrittenste Stück Erinnerungskultur in der Hansestadt. Derzeit sammelt das Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung, das jährlich zum Ostermarsch aufruft, Unterschriften für eine Umbenennung dieses Bereiches des Dammtorwalls in Hiroshima-Platz.

Neben »Bundeswehr raus aus Afghanistan!«, »Atomkraftwerke abschalten!« gehörte dann auch »Atomwaffen abschaffen« zu den zentralen Forderungen der Friedensmarschierer. Die Demonstranten empört, dass immer noch mehr als 20 000 Atomsprengköpfe in den Arsenalen lagern, davon vermutlich etwa 20 in Deutschland.

Gegen Mittag bewegte sich der Demonstrationszug in Richtung Innenstadt, entlang der Alster, durch die Einkaufsmeilen, vorbei am Hauptbahnhof in den Stadtteil St. Georg. Auf den Bannern waren Slogans wie »Waffen finden immer ihren Krieg« und »Stoppt Waffenexporte nach Israel!« zu lesen. »Die Bundesregierung muss Druck auf die israelische Regierung ausüben, endlich die völkerrechtswidrige Besatzung zu beenden und das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung Palästinas zu respektieren«, hieß es im Aufruf. Der war von Arbeitsgemeinschaften und Vertretern der LINKEN – darunter der Bundestagsabgeordnete Jan van Aken und die Bürgerschaftsfraktion –, der DKP, Gewerkschaftern und Organisationen wie der VVN-BdA und Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges unterzeichnet worden.

Auf dem Carl-von-Ossietzky-Platz begann das traditionelle Friedensfest mit Informationsständen, Live-Musik und Redebeiträgen. Wolfgang Erdmann von der IG Metall wies auf die zunehmende »Umverteilung unserer Steuergelder in die Taschen der Rüstungsindustrie« hin. Deren Umsatz liegt derzeit bei 1,5 Billionen Dollar jährlich. 75 Prozent davon generiert die NATO.

Eine Sprecherin des Hamburger Flüchtlingsrates erinnerte daran, dass die Bundesregierung nordafrikanische Machthaber wie Gaddafi jahrelang als »Wachhunde für ein vorgelagertes EU-Grenzregime« fungieren lassen und mit Waffen versorgt habe, die die Despoten nun gegen die eigene Bevölkerung richteten. Die Linksjugend kritisierte die sogenannten Kooperationsabkommen der Bundeswehr mit Landesschulministerien, um sich »neues Kanonenfutter« zu sichern.

Einen Höhepunkt bildete die Grußbotschaft des in den USA inhaftierten Journalisten und Bürgerrechtlers Mumia Abu-Jamal aus dem Todestrakt: »Die Rechte führt heute einen Kulturkampf, um uns wieder in die McCarthy-Ära zurückzukatapultieren«, warnte Abu-Jamal. Es sei an der Zeit, sich gegen ihre Kriege nach innen und außen zu organisieren.

Und genau das machten auch Ostermarschierer im südbayerischen Traunstein. Nach einer Kundgebung auf dem Stadtplatz marschierten die Menschen zur Kirche St. Georg und Katharina und sprachen dort ein Friedensgebet. In Ansbach richtete sich der Protest gegen die Übungsflüge von Kampfhubschraubern an den US-Militärstandorten in Ansbach-Katterbach und in Illesheim. In München wurde unter anderem über die Rolle der Rüstungsindustrie seit der Ära Strauß debattiert, die endlich ein Ende finden müsse.

Rund 70 Prozent der Bevölkerung lehnen den deutschen Militäreinsatz in Afghanistan ab – doch die Regierung und die Mehrheit des Bundestages verlängern das Töten. Dagegen wandten sich Demonstranten vor dem Übungszentrum des Heeres in der Colbitz-Letzlinger Heide. Rosemarie Hein, Linksabgeordnete des Bundestages, die ihren Wahlkreis in Sachsen-Anhalt hat, wandte sich gegen das »Gutreden« von Kriegen: »Ich kann an Krieg nichts Humanitäres feststellen. Im Krieg stirbt immer die Wahrheit zuerst, werden immer Zivilisten Opfer sein, also diejenigen, die man vermeintlich beschützen will.« So seien auch die Bombardements in Libyen eine falsche Politik für das Land.

In Frankfurt am Main wurde neben dem Atomausstieg auch das Ende des NATO-Krieges »um Öl und Gas« in Libyen gefordert. Der Vorsitzende der DGB-Region Frankfurt-Rhein-Main, Harald Fiedler, wandte sich gegen ein »militärisches Engagement in Libyen und anderswo« und forderte einen sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.

Die diesjährigen Oster-Aktionen zeichneten sich vor allem durch ihre Buntheit und Vielfalt aus. Überall trafen sich zum Teil auch kleinere Gruppen, um für die Forderung nach einer Welt des Friedens zu werben.

Die Stadt sollte mit friedlichen Traditionen für sich werben, etwa mit dem Pazifisten Albert Einstein, der in Rostock die Ehrendoktorwürde erhielt. »Gegen Krieg und militaristisches Denken, gegen Zerstörung von Mensch und Natur für Profitinteressen« gingen Ostseestädter auf die Straße. Sie wandten sich unter anderem gegen das Baumefällen zum Wiederaufbau historischer Wehranlagen.

Mehr als 100 Motorradfahrer haben am Ostersonntag in Köln PS-stark für Frieden und Abrüstung demonstriert. »Für eine Welt ohne Krieg, Militär und Gewalt! Für eine Welt ohne Atomkraft« trafen sich in Erbach im Odenwald zahlreiche Demonstranten am Marktplatz.

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