Klein-Davos in Rio de Janeiro
Wirtschaftsforum soll das »Lateinamerikanische Jahrzehnt« einläuten
An Optimismus mangelt es in Lateinamerika nicht. »Die globale, strategische Bedeutung unserer Region nimmt zu, die Chancen und Herausforderungen sind vielfältig«, sagt Marisol Argueta de Barillas, Vorsitzende des Lateinamerikanischen Weltwirtschaftsforums. Die Rede ist von der »Lateinamerikanischen Dekade«, Ratingagenturen und Investoren sagen dem Subkontinent eine rosige Zukunft voraus.
Im Vorfeld des diesjährigen Weltwirtschaftsforums Lateinamerikas, das heute in Rio de Janeiro beginnt, wurde gute Stimmung verbreitet: Die Region verzeichnet seit Jahren ein konstantes Wirtschaftswachstum, 2010 durchschnittlich sechs Prozent. Sogar das Krisenjahr 2009 wurde im Vergleich zu den Industriestaaten gut überwunden. In vielen Ländern wird erfolgreich die Armut bekämpft, die steigende Kaufkraft einer neuen Mittelschicht kurbelt die Inlandsnachfrage an. Die großen Rohstoffvorkommen, 15 Prozent der weltweiten Erdöl- und 30 Prozent der Wasserreserven sowie das landwirtschaftliche Potenzial, versprechen bessere Zeiten.
Zum 6. Lateinamerikanischen Weltwirtschaftsforum werden 500 Vertreter und Vertreterinnen von Unternehmen, Regierungen und der Zivilgesellschaft erwartet. Im Mittelpunkt der Diskussionen wird die Analyse der neuen Rolle der Region in der globalen Wirtschaftsordnung stehen. Weitere Schwerpunkte sind Informationstechnologie, Tourismus und Infrastrukturmaßnahmen.
Die regionalen Foren sind eine Initiative des traditionellen Wirtschaftsforums der Unternehmenselite im Schweizer Davos. Bereits 2009 fand das lateinamerikanische Forum in Rio de Janeiro statt, vergangenes Jahr war Kolumbien Gastgeber.
Bei den Regionalforen geht es wie in Davos darum, die Leitlinien der weltweiten Wirtschaftspolitik zu debattieren. Im Gegensatz zu den Konferenzen der Welthandelsorganisation oder der UNO werden keine Entscheidungen getroffen. Doch die Zielrichtung ist stets vorgegeben: Es geht um liberale Visionen, Markt und Kapital werden als wichtigste Faktoren des Wirtschaftens und zur Lösung von Problemen betrachtet.
Aus Protest gegen diese eindimensionale Wahrnehmung entstand vor elf Jahren in Brasilien das Weltsozialforum (WSF). Parallel dazu wurden die Weltwirtschaftsforen – jenseits der Absperrungen – zu einem Stelldichein der Globalisierungskritiker, für die die liberale Wirtschaftsorientierung Ursache für soziale Ungleichheit und Naturzerstörung ist. Auch Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inacio Lula da Silva, der als ehemaliger Gewerkschafter gern gesehener Gast in Davos war, obwohl seine Arbeiterpartei bei der Gründung des WSF Pate stand, gelang es nicht, die unterschiedlichen Themen und Diskussionskulturen auf einen Nenner zu bringen.
So ist auch diesmal in Rio de Janeiro nicht zu erwarten, dass die prominenten Unternehmensvertreter und Wirtschaftswissenschaftler hinterfragen werden, warum das rasante Wachstum nicht zu einer gerechteren Einkommensverteilung führt. Auch Kritik an ökologisch fraglichen Megaprojekten wie Staudämmen oder an Milliardeninvestitionen für Olympia und die Fußball-WM in Brasilien, die die Wünsche und Nöte der urbanen Bevölkerung übergehen, wird kaum zu hören sein. Stattdessen sollen – so die Ankündigung – die »Grundlagen für die Lateinamerikanische Dekade« gelegt werden: mit dem Ausbau von Infrastruktur, um die regionale Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, mit Verbrechensbekämpfung unter Berücksichtigung demokratischer Werte und durch Beantwortung der Frage, wie die Businesswelt zu Wachstum und Fortschritt des Subkontinents beitragen kann.
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