100 Jahre Spaßpartei

Jaroslav Hašek:

  • Reiner Neubert
  • Lesedauer: 3 Min.

Nein, es ist nicht die FDP gemeint! Im April 1911, also vor hundert Jahren, gründete Jaroslav Hašek gemeinsam mit neun anderen Herren im Wirtshaus »Kuhstall« in den Weinbergen zu Prag die »Partei des gemäßigten Fortschritts im Rahmen des Gesetzes«. Hašek, der am 30. April 1883 geboren wurde, war damals 27 Jahre alt. Die Gründer dieser Partei, die sich stets in einer Kneipe trafen, ereiferten sich während ihrer »Tagungen« in kühnen Reden, wobei sie dem Bier recht stark zusprachen, just nach der sattsam bekannten These von Hašek, dass Bier und Tinte zusammengehören.

Mit dieser real existierenden Partei, die zur anstehenden Wahl letzthin ganze 36 Stimmen auf sich vereinte, wollten die umtriebigen und aufmüpfigen Künstler und Intellektuellen dem konservativen und nationalsozialen Klüngel entgegentreten, der sich in Prag etabliert hatte. Im Manifest der Partei, das gleichsam als Programm in der Öffentlichkeit dienen sollte, forderten die Gründungsmitglieder die Wiedereinführung der Sklaverei, die Verstaatlichung der Hausmeister und Kirchendiener, die Einrichtung staatlicher Erziehungsanstalten für schwachsinnige Abgeordnete, die Einführung der Inquisition, die Rehabilitierung der Tiere (Schweine, Ochsen und Hunde seien durch die im Wahlkampf benutzten Vokabeln negativ konnotiert!) sowie die Zwangseinführung des gemäßigten Alkoholismus.

Die nicht ganz ernst zu nehmenden, aber doch zunächst ernst gemeinten und in diesem Gestus vorgetragenen Reden sind von Freunden Hašeks aufgeschrieben, bewahrt, gedruckt worden. 1924, ein Jahr nach dem Tod des Meisters, wurden einige davon publiziert, Gustav Just hat sich der Ausgabe aus dem Jahre 1971 bedient, die er übersetzte, herausgab und mit einem Nachwort versah, vorzüglich illustriert von Hans Scheib.

So lesen wir heute schmunzelnd die Geschichte dieser ominösen Partei. Die ersten Ideen dazu fanden die Biertrinker schon kurz nach jener Jahrhundertwende, wobei die revolutionären Situationen in Europa den gedanklichen Hintergrund bildeten. Schon 1904 waren es acht Herren, die im »Goldenen Liter« ihr Vorhaben lautstark artikulierten. Hašek soll zudem ein glänzender Redner gewesen sein, und Zwischenrufe nahm er nicht nur zur Kenntnis, sondern baute sie treffsicher in seinen Disput ein. Um einer Zensur zu entgehen, verklausulierte man die Beiträge, wenn sie beispielsweie in der Zeitschrift »Welt der Tiere« veröffentlicht wurden. Die Themen der Reden waren meist skurril und scheinbar gegenstandslos, aber in der Stoßrichtung klar: gegen den Mief des bürgerlichen Gehabes. Da ging es um verdorbene Lebensmittel, um die Rehabilitierung der Tiere, um triviale Gedichte, aber auch um das Frauenwahlrecht.

Diese Wahlreden Hašeks aus dem Jahre 1911 sind nicht nur für Freunde des Kabaretts ein Ohrenschmaus, sondern gleichsam sehr aktuell, was die Meinungsbildung heutzutage in Parlamenten betrifft: Nach der Wahlniederlage räumt man zwar ein, Dresche bekommen zu haben, aber das wird als moralischer Sieg, als Impuls für einen künftigen Aufschwung gefeiert.

Hašek war eben nicht nur der Schöpfer des Romans »Der brave Soldat Schwejk« und des »Urschwejk« (der in den sozialistischen Ländern verboten war), sondern auch der politisierende Journalist und emphatische Redner, wie wir es dem Buch entnehmen können – das die Büchergilde Gutenberg vorausahnend edierte.

Jaroslav Hašek: Geschichte der Partei des gemäßigten Fortschritts im Rahmen des Gesetzes. Hrsg. v. Gustav Just. Ill. v. Hans Scheib. Parthas Verlag. 143 S., geb., 48 €.

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