Zu viele Gewerkschafter im Callcenter

In Kiel wird eine Telefonzentrale mit kämpferischer Belegschaft geschlossen

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 3 Min.
In Kiel soll ein Callcenter schließen, obwohl die Betreibergesellschaft andernorts dringend Personal sucht. Nicht wenige vermuten, der hohe gewerkschaftliche Organisationsgrad im Center könnte der eigentliche Grund für die Schließung sein.

Callcenter gelten wahrlich nicht als Orte tarifrechtlicher Glückseligkeit. Bei »Helpline« in Kiel existiert schon lange ein Betriebsrat – eine Ausnahme, und noch mit dem Stichtag 1. Oktober sollen genau dort Arbeitsplätze für 55 von 59 Beschäftigten wegfallen. Ver.di vermutet einen Zusammenhang mit der Existenz einer betrieblichen Arbeitnehmervertretung.

Das ins Fadenkreuz der Schließung geratene Callcenter wurde 1998 gegründet und hatte in seinen Spitzenzeiten über 250 Beschäftigte. 2007 folgte die Eingliederung in die bundesweit tätige Invoco-Group, die auch Dependancen in Wismar, Schwerin, Berlin, Halle, Göttingen, Hamburg sowie Lübeck betreibt. Bereits im vergangenen Jahr erfolgten in dem zur Abwicklung anstehenden Betrieb in Kiel ein radikaler Schnitt und der Abbau von 150 Arbeitsplätzen.

Für ver.di-Bezirkssekretärin Susanne Schöttke ist die Invoco-Begründung einer »veränderten Marktsituation« nur ein vorgeschobenes Argument: »Allem Anschein nach geht es vielmehr darum, sich auf diese Weise eines Betriebsrats zu entledigen.« Während Invoco in der Kieler Innenstadt (mit Betriebsrat) seine Tätigkeit stoppen will, ist an anderer Stelle ohne Betriebsrat im Kieler Wissenschaftspark bereits ein zweiter Callcenter-Betrieb eingerichtet worden. Ja, sogar Informationen über die Eröffnung einer weiteren Betriebsstätte in Kiel machen derzeit die Runde, was Invoco aber dementiert. Immerhin werden für Kiel sogar Stellenanzeigen zur Kundenbetreuung geschaltet. Von mangelnder Auftragslage kann wohl offenkundig nicht die Rede sein.

Der Betriebsrat bestreitet im Übrigen die Darstellung in der Kieler Lokalpresse, dass den betroffenen Mitarbeitern Tätigkeiten an anderen Standorten der Unternehmens-Gruppe angeboten werden. In der Vergangenheit, auch schon vor Invoco-Zeiten, hatte es zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat immer wieder Reibereien gegen. Etwa wegen der Telefonanlage und Überwachungsfragen, für die der Betriebsrat die Einschaltung der schleswig-holsteinischen Datenschutzzentrale anmahnte, aber dabei auf Arbeitgeberseite keine Zustimmung fand.

Wegen der in wenigen Monaten drohenden Arbeitslosigkeit haben die Betroffenen nun sogar bei der 1. Mai-Kundgebung mit dem Kieler Oberbürgermeister Torsten Albig (SPD) Kontakt aufgenommen. Der Betriebsrat stellt jedenfalls fest, dass innerhalb der Invoco-Group Aufträge von einem zum anderen Standort verschoben werden, offenbar nur, um die unliebsame Betriebsstätte »auszubluten«. Zu den Firmen, die die Invoco-Dienstleistungen in Anspruch nehmen, gehören in erster Linie Banken, Versicherungen, Autokonzerne, Versandhäuser, Kabelnetzanbieter und andere Unternehmen aus der Elektronik- und IT-Branche. Seitens des Betriebsrats will man sich notfalls auch an all diese wenden und das Image-Argument diskutieren.

In seinem eigenen Portfolio heißt es bei der Invoco-Gruppe: Der Mensch steht im Mittelpunkt unseres Handelns – als Kunde und als Mitarbeiter. Dabei hat man, so berichten Angestellte, in jüngster Zeit verstärkt auf Leiharbeiter gesetzt. Über eine Einigungsstelle soll nun bezüglich des Konflikts in Kiel versucht werden, mit Invoco über einen Sozialplan ins Gespräch zu kommen, denn für eine andere Zukunft oder eine Abkehr von ihren Plänen steht die Geschäftsleitung nicht zur Verfügung. Ein Drittel der von der Schließung bedrohten Beschäftigten sind gewerkschaftlich organisiert – ein für Callcenter außergewöhnlich hoher Organisationsgrad. Für die Geschäftsführung vielleicht zu hoch.

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