Protestaktionen gegen Megaprojekt

Chile: Ablehnung von Staudammvorhaben

  • Lesedauer: 3 Min.
Von Jürgen Vogt, Buenos Aires

Chile erlebte am vergangenen Freitag eine seiner größten Demonstrationen gegen Umweltzerstörung. Landesweit waren die Menschen gegen das Großprojekt HidroAysén auf die Straßen gegangen.

Allein in der Hauptstadt Santiago zählte die Polizei 30 000 Demonstrierende; Umweltorganisationen wie die Acción Ecológica sprachen von 50 000 Protestteilnehmern. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, die mit Spezialeinheiten, Wasserwerfern, Schlagstöcken und Tränengas verhinderte, dass die Menschen bis vor den Präsidentenpalast zogen. Bilanz: 67 Festnahmen, zehn verletzte Polizisten und eine unbekannte Zahl verprügelter Demonstranten.

Das umstrittene Projekt HidroAysén sieht den Bau von insgesamt fünf Staudämmen und Wasserkraftwerken vor. Sie sollen an den Flüssen Baker und Pascua in der patagonischen Region Aysén, rund 1800 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago, entstehen. Dabei wird eine Fläche von knapp 6 000 Hektar überflutet werden. HidroAysén soll einmal 2750 Megawatt Strom liefern. Es wird von dem spanisch-chilenischen Konsortiums Endesa-Colbún gebaut. Die Baukosten werden auf 3,2 Milliarden Dollar veranschlagt. Ab 2019 soll der erste Strom geliefert werden, 2025 soll das letzte der fünf Kraftwerke ans Netz gehen.

Der Strom soll einmal über eine eigens dafür gebaute 2300 Kilometer langen und 100 Meter breite Überlandleitungstrasse die Industrie um die Hauptstadt Santiago versorgen und den riesigen Energiebedarf der Bergbauunternehmen im Norden des Landes decken helfen. Dies würde weitere 23 000 Hektar Land fordern, auf denen dann alle 400 Meter ein 70 Meter hoher Stromleitungsmast stehen würde. Die bisher geplante Trassenführung würde gut 90 ökologische Schutzzonen durchschneiden, darunter allein sechs Nationalparks, und soll federführend von dem Englisch-Schweizer Unternehmen Xstrata gebaut werden.

Der Protest gegen das Vorhaben hatte sich Anfang der vergangenen Woche zugespitzt. Am Montag billigte die verantwortliche Umweltkommission in der südchilenischen Stadt Coyhaique einen für die Umweltverträglichkeitsprüfung vorgelegten Bericht des Betreiberkonsortiums Endesa-Colbún. Nach nicht einmal drei Jahren Prüfung gab die Kommission damit grünes Licht für das Fünf-Staudamm-Projekt HidroAysén. Gegen alle Kritik und Einwände von Umweltorganisationen und engagierten Bürgern hatten das Konsortium und die Regierung die Sache durchgezogen. In einem offenen Brief stellte der Schriftsteller Luis Sepúlveda klar: »Noch am 28. April galt der vorgelegte Bericht als ›nicht angemessen‹. Kurze Zeit später und nach einigen Telefonaten aus den zuständigen Ministerien war er ›angemessen‹«, so Sepúlveda.

Auch wenn die Ursprünge von HidroAysén in die Amtszeit der früheren Präsidentin Michelle Bachelet zurückreichen, wird das Megaprojekt mit dem jetzigen Präsidenten Sebastián Piñera identifiziert. Seit Jahren betreiben Politik und Wirtschaft einen riesigen Propagandaaufwand, um der Bevölkerung das Projekt als unumgänglich zu suggerieren. Noch vor wenigen Tagen hatte Piñera zum x-ten Male wiederholt, dass HidroAysén umgesetzt werden müsse, sollte Chile sein ökonomisches Wirtschaftswachstum von jährlich sechs Prozent beibehalten wollen. Keine geringe Drohung für die seit vielen Jahrzehnten auf das Credo des neoliberalen Wirtschaftswachstums getrimmte Bevölkerung. Umso erstaunlicher ist es deshalb, dass 61 Prozent dieser Bevölkerung HidroAysén nach einer Umfrage im April ablehnen.

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