Die Ärmsten bleiben unversorgt

Starke Gesundheitssysteme brauchen mehr als punktuelle Entwicklungshilfe

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Tschad gehört zu jenen ärmsten Ländern, die selten in den internationalen Schlagzeilen auftauchen. Ein nur in Ansätzen existierendes Gesundheitswesen vermag die Einwohner kaum vor Malaria oder Cholera- und Masern-Epidemien zu schützen. Auf 50 000 Menschen kommt gerade ein Mediziner, weshalb die Organisation »Ärzte ohne Grenzen« hier seit einigen Jahren im Einsatz ist.

Auf dem Blog der Hilfsorganisation berichtet die Ärztin Kanya Gewalt von strapaziösen Transporten ihrer hochschwangeren Patientinnen oder von mangelernährten Kindern, die wegen einer Überschwemmung das Krankenhaus nicht erreichen. Oder auch von nicht ausreichendem Impfstoff bei einer Kampagne gegen Kinderlähmung. Die Säuglingssterblichkeit liegt in dem afrikanischen Land bei 12 Prozent. Pro 100 000 Lebendgeburten sterben im Tschad 1500 Mütter – in Deutschland sind es vier.

Gerade die Müttergesundheit gilt als Indikator für die Gesamtsituation eines Gesundheitssystems, erklärt Mareike Luppe von der Kinderhilfsorganisation terre des hommes. Zu den Millenniums-Zielen der Vereinten Nationen bis 2015 gehört die Verbesserung der Gesundheitsversorgung der Mütter. So soll die Sterblichkeitsrate, bezogen auf 1990, um drei Viertel gesenkt werden und bis 2015 ein allgemeiner Zugang zu reproduktiver Gesundheit erreicht sein.

Während viele dieser Ziele kaum noch zu erreichen sind, weisen Hilfsorganisationen auf die Ursachen für das Versagen hin. So kann auch Entwicklungszusammenarbeit schädliche Nebenwirkungen entfalten. Mareike Luppe verweist auf den starken Sog privater Initiativen wie der Gates-Stiftung. Deren Konzentration auf bestimmte Erkrankungen wie HIV/AIDS, Malaria oder Tuberkulose schwächt die Fähigkeit und Bereitschaft der Gesundheitssysteme armer Länder, sich umfassend zu organisieren. »Selbst Verwaltungspersonal aus nationalen Ministerien wird in die lokalen Leitungsebenen der Fonds abgeworben«, berichtet Luppe, »ganz zu schweigen von den medizinischen Fachkräften, die von guten Gehältern angelockt werden«.

Hilfsorganisationen wünschen sich in der Gesundheitspolitik einen umfassenden Ansatz. Zur reproduktiven Gesundheit gehört grundsätzlich der freie Zugang zu Verhütungsmitteln. Frauen, die nur mit Erlaubnis ihrer Ehemänner das Haus verlassen, werden nicht von sich aus zu einer Gesundheitsstation gehen und sich über Verhütung informieren. Sie werden auch keine Kondome erwerben können, wenn das Pro-Kopf-Einkommen pro Jahr bei gerade 619 Euro liegt, wie etwa in Tschad, und noch nicht einmal die Trinkwasserversorgung für alle Menschen gesichert ist.

Schädliche Wirkungen auf die Gesundheitspolitik der armen Länder kommen aus vielen Politikfeldern. Die Bundesrepublik etwa wirbt keine Ärzte oder Pflegekräfte in afrikanischen Ländern ab. Aber sie setzt in Krankenhäusern auf Personal zum Beispiel aus Osteuropa. Dorthin wiederum zieht es dann Mediziner aus armen Ländern – die letzten, bedürftigsten Patienten bleiben unversorgt zurück, wenn nicht eine Hilfsorganisation punktuell eingreift. Das setzt voraus, dass diese Hilfe finanziert wird. Die Europäische Union hatte sich zum Ziel gesetzt, ihre Entwicklungshilfe bis 2015 auf 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung zu erhöhen, dem Bereich Gesundheit galten 0,1 Prozent. Deutschland steht zur Zeit bei 0,03 Prozent für diesen Sektor. Aus dem Bundesministerium für Entwicklungszusammenarbeit (BMZ) werden zwar neue Projekte für eine selbstbestimmte Familienplanung angekündigt, von einer schnellen Steigerung der Ausgaben, um das EU-Ziel bis 2015 noch zu erreichen, ist nicht die Rede. Bei den angekündigten Ausgabensteigerungen, so die Sorge der NGOs, handelt es sich wieder nur um Umschichtungen im BMZ-Haushalt, aber keinesfalls um »frisches Geld«.

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