Das »Ektische«

Franz Hohler erläutert seine Poetologie

  • Alfons Huckebrink
  • Lesedauer: 2 Min.

Einem produktiven und in so manchem Genre erprobten Autor wie Franz Hohler möchte der Leser wohl gern einmal über die Schultern schauen, um Einblick zu nehmen in die Maximen und Bedingungen seines Schreibens, also in jenes schwer Fassbare, das die Literaturwissenschaft gemeinhin mit »Poetologie« auf einen Begriff bringt. Eine ebenso treffliche wie erhellende Gelegenheit dazu bietet die kleine Sammlung »Das Kurze. Das Einfache. Das Kindliche«, welche Vorträge, Artikel, Nachrufe, Preis- und Dankesreden verzeichnet, die sich mit Themen wie Tod, Krieg, Medizin, Kunst und Humor, kurz dem Überlebenswichtigen, beschäftigen. Und stets kreisen Hohlers Ausführungen um diesen »weltvergrößernden Stoff«, also die Literatur, kreisen ihn ein, ohne ihn je belehrend zu stellen.

Titelgebend für diesen Band sind indessen drei Poetikvorlesungen, die der Autor und Kabarettist für die Universität Zürich hielt. Als deren Quintessenz ließe sich formulieren: Das Kurze gehört als Kürzestgeschichte in die moderne Zeit, da sie im geistigen Handgepäck Platz findet und den Leser zu Assoziationen herausfordert. Das Einfache ist nicht das Simple, sondern es gehört zum Schwierigsten, was sich machen lässt. Das Kindliche als eine Vorliebe für das Absurde und Groteske gibt auch Erwachsenengeschichten ihren Zauber, denn zwischen dem Land der Kinder und dem der Erwachsenen existiert eine grüne Grenze.

Darüber hinaus schärft Hohler den Blick des Lesers für seine Vorbilder (Brecht, Kafka, Hebel, Charms) und erläutert an Beispielen deren Virtuosität in der Kürze. Dass ihm selbst immer wieder Parabeln makellosen Zuschnitts gelingen, sei ebenfalls beispielhaft belegt. Die Geschichte heißt »Ektisch« und spielt bei den Ektern, die nur über zwei Wörter verfügen. Das erste heißt »M« und bedeutet in Hochdeutsch soviel wie »Was ist denn jetzt wieder los?«; das zweite ist ein Begriff wie ein Bandwurm, wird vorwiegend vom Präsidenten in Balkonreden verwendet und bedeutet »Nichts«. Da verwundert es einen nicht, dass das »Ektische« heute zu den toten Sprachen gehört.

Franz Hohler: Das Kurze. Das Einfache. Das Kindliche. Luchterhand. 192 S., brosch., 9 €.

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