Entbürokratisiert werden soll die Jobvermittlung nach dem Willen der Bundesregierung. Doch selbst die auf Drängen der Wirtschaft im Sommer 2000 angeworbenen IT-Spezialisten stehen bei Jobverlust unklaren Bestimmungen und großem Zeitdruck bei der Arbeitssuche gegenüber.
Andrew Seldon kam zum Jahresbegin 2001 nach Deutschland. Der südafrikanische IT-Experte wollte in Deutschland Europa-Erfahrungen sammeln. Für fünf Jahre heuerte er auf der Basis der »Greencard« in Deutschland an. Dies war ihm Perspektive genug: Das Haus in Südafrika wurde verkauft. Zudem überzeugte er seine Ehefrau, ihre Dissertation in München zu verfassen.
Alles kein Problem, war sein erster Eindruck. Und die englischsprachige Broschüre, die das Bundesarbeitsministerium im Internet zur Information anbietet, muss ihn darin bestärkt haben. Hier werden auf die dringendsten Fragen ausländischer IT-Experten, die dem Greencard-Ruf nach Deutschland folgen wollen, Antworten gegeben: Welche Qualifikationen brauche ich? Einen Hochschulabschluss. Oder eine Bescheinigung über ein Jahreseinkommen von mindestens 50000 Euro brutto. Was ist zu beachten? Es darf keine deutschen Bewerber für die Stelle geben. Welche Dokumente sind von Nöten? Eine Aufenthaltserlaubnis des lokalen Ausländeramtes und eine Arbeitserlaubnis vom Arbeitsamt.
Zum 1.August 2000 trat die so genannte »Greencard«-Regel in Kraft. Bis November 2001 wurden über 10000 IT-Experten angeworben, davon etwa 2500 in Bayern. Der Internet- und Computer-Boom, auf den die Bundesregierung mit der Anwerbeoffensive reagieren wollte, stand zu diesem Zeitpunkt jedoch vor seinem vorläufigen Ende. Auch Andrew Seldon musste diese Erfahrung machen: Im Mai 2002 wurde er für Ende Juni 2002 gekündigt. Die für den Südafrikaner jetzt interessante Frage findet sich in erwähnter Broschüre des Bundesarbeitsministeriums indes nicht: Was passiert, wenn ich als »Greencardler« arbeitslos werde?
Nach Angaben der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV) bei der Bundesanstalt für Arbeit sind ständig um die 60 Arbeitnehmer davon betroffen. Meist kämen diese schnell wieder in Arbeit, sagt Pressesprecherin Sabine Seidler. Das müssen sie auch. Denn die deutsche »Greencard« hat mit ihrer amerikanischen Namensgeberin nur wenig gemein. Sie ist keine pauschale und unbefristete Eintrittskarte in die Bundesrepublik, sondern befristet und geprägt von einer komplizierten Mischung aus Bundes- und Landeszuständigkeiten. Rechtlich bewegen sich alle Regelungen zur »Greencard« auf der Ebene von Verordnungen, nicht Gesetzen, was den Umgang mit ihnen zumal für Ausländer nicht einfacher macht.
Jeder ausländische Arbeitnehmer in Deutschland braucht eine Arbeits- und eine Aufenthaltserlaubnis. Für erstere ist die Bundesanstalt für Arbeit zuständig. Die Nürnberger Institution wurde durch den »Greencard«-Beschluss angewiesen, die seit dem »Anwerbestopp« von 1973 veranlasste Verweigerung von Arbeitserlaubnissen an Ausländer für diese speziellen Fälle auszusetzen.
Sowohl die Arbeitserlaubnis als auch die Aufenthaltsgenehmigung sind im Rahmen des IT-Experten-Programms an den Besitz eines Arbeitsplatzes gebunden. Innerhalb der auf maximal fünf Jahre befristeten Aufenthaltszeit ist es aber möglich, den Arbeitsplatz zu wechseln. Nur: Ein Anspruch darauf besteht nicht, und diese Möglichkeit ist zeitlich befristet. »In der Regel«, sagt Sabine Seidler von der ZAV, haben die ausländischen Spezialisten dazu drei Monate Zeit. Wenn sie in dieser Zeit keine neue Stelle finden, müssen sie ausreisen. Eine bundeseinheitliche Regelung gibt es aber nicht, denn für die Regelung von Aufenthaltsfragen sind in Deutschland die Landesbehörden zuständig.
Auch Andrew Seldon bekam vom Münchner Arbeitsamt den Bescheid, er habe bis Mitte September einen neuen Arbeitsplatz vorzuweisen. Der Südafrikaner fühlt sich nun ungerecht unter Druck gesetzt. Denn als Deutscher hätte er mehr Zeit. Nach 18 Monaten Arbeit würde er immerhin für acht Monate Arbeitslosengeld bekommen.
Dennoch stellt das bayerische Verfahren, mit dem der Südafrikaner jetzt konfrontiert ist, gemessen an den ursprünglichen Ideen für die bayerische IT-Anwerbung eine Verbesserung dar. Denn die »Bluecard«, die im Stoiber-Land zur Abgrenzung von der Bundesregierung ebenfalls im Jahr 2000 eingeführt worden war, band die Aufenthaltsgenehmigung anfangs ganz unmittelbar an einen konkreten Job. Jede Kündigung hätte Ausreise bedeutet.
Für Andrew Seldon ist das ein geringer Trost. Er fühle sich »fast schon aus dem Land geekelt«, sagte er ND. Und selbst um die drei Monate Arbeitslosengeld, die ihm ganz unzweifelhaft zustehen, muss er noch kämpfen. Eine unfreundliche Sachbearbeiterin im Münchner Arbeitsamt schickte ihn zunächst unverrichteter Dinge wieder fort.
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