Salatgurken und Politik

Erste EHEC-Erreger lokalisiert / Robert-Koch-Institut empfiehlt Verzicht auf Gemüse

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 4 Min.
Salatgurken aus Spanien sind als Träger des gefährlichen EHEC-Bakteriums identifiziert worden. Doch wie kamen sie dahin? Könnte noch mehr Obst und Gemüse betroffen sein? Wie kann sich der Verbraucher schützen und wer kümmert sich eigentlich weiter um die ganze Sache? All diese Fragen sind anscheinend offen.
Die Erreger unterm Elektronenmikroskop AFP/Manfred Rohde, HZI
Die Erreger unterm Elektronenmikroskop AFP/Manfred Rohde, HZI

Ernährungsexpertin Silke Schwartau-Schuldt von der Verbraucherzentrale Hamburg hatte gestern immer eine Hand am Telefon. »Wir haben alles ins Internet gestellt«, erklärt sie jedem Anrufer – in der Hoffnung, das Gespräch damit abzukürzen. Man sei sehr beunruhigt, sagt die Verbraucherschützerin, denn man kenne mit den Salatgurken jetzt zwar eine Quelle, wisse aber nicht, ob es noch mehr gebe. Weitere Analysen liefen, teilte Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) währenddessen mit: »Wir ziehen alles aus dem Verkehr, was wir diesen Quellen zuordnen können«. Auch eine Biogurke sei betroffen. Die Gesundheitsbehörde gehe allen denkbaren Vertriebswegen nach. Die Proben stammten vom Hamburger Großmarkt. Eine weitere Gurke mit EHEC-Keimen könne derzeit nicht sicher zugeordnet werden. Prüfer-Storcks riet vom Verzehr von Salatgurken ab.

Beunruhigt sind auch die meisten Verbraucher, die in Deutschland jährlich 558 000 Tonnen Gurken verzehren; 6,8 Kilo pro Kopf. 192 000 Tonnen der Gesamtmenge stammen aus Spanien. Von dort kam als Reaktion, dass man prüfen werde. Das heißt: Es dauert. Den europäischen Verbrauchern bleibt, sämtliche in den letzten Tagen mehrfach herunter gebeteten Hygieneregeln zu befolgen oder auf Gurken sowie anderes Gemüse aus Nachbars (Bio)Garten oder vom regionalen, vertrauenswürdigen Öko-Landwirt zurückzugreifen. Wer das nicht kann, kann nur verzichten. Hysterie hilft hier wenig, wie die Reaktionen auf den Hinweis des Robert-Koch-Institutes (RKI) von gestern zeigen. Das hatte Vorsicht bei frischem Gemüse in Norddeutschland angemahnt. Dies war jedoch von vielen Menschen so verstanden worden, dass man Gemüse aus Norddeutschland meiden müsse – eine falsche Schlussfolgerung mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen für die Landwirtschaft in der Region, die plötzlich nichts mehr loswird. Auch die Händler bangen um ihre Einnahmen. Andreas Brügger, Geschäftsführer des Deutschen Fruchthandelsverbandes, befürchtete den Totalausfall für viele Unternehmen.

EHEC ist nicht der einzige Erreger, der in den letzten Jahren seinen Weg in die Lebensmittelkette fand, die Liste der diesbezüglichen Skandale ist lang und die Schlussfolgerungen, die man der Öffentlichkeit jedes Mal präsentiert (mehr Kontrollen, bessere Überwachung, strengere Vorschriften), versickern allzu häufig im Sande, wenn das Thema nicht mehr öffentlich präsent ist. Für den Verbraucherzentrale Bundesverband ist EHEC jedenfalls einem Sprecher zufolge kein politisches Thema. Man müsse nach dem Auffinden die Quelle, aus der die Erreger stammen, sofort schließen, fordert Harald Weinberg, Obmann der Bundestagsfraktion DIE LINKE im Gesundheitsausschuss, bevor man in Panik verfalle. Aus dem Bundesgesundheitsministerium hieß es lapidar: »Die Landesbehörden sind am Arbeiten, die Mechanismen sind in Kraft und funktionieren.« Das RKI rät zum Verzicht auf Gemüse.

Hamburger Zeitungen melden indes Engpässe bei der Versorgung von EHEC-Patienten. Es gebe zu wenige Dialyseplätze für Betroffene, so dass chronisch Kranke ihre regelmäßige Blutwäsche aufschieben müssten. Kinder seien zur Behandlung nach Hannover gebracht worden. Auch eine zentrale Telefonnummer für Menschen, die sich informieren wollten, gebe es nicht, bemängelt Kersten Artus, gesundheitspolitische Sprecherin der LINKEN in der Bürgerschaftsfraktion. »Ich habe den Verdacht«, so Artus, »dass es zu wenig Personalkapazitäten bei den Lebensmitteltechnikern gibt und die Stadt Hamburg nicht ausreichend auf so eine Katastrophe vorbereitet ist«.

Heute schaltet die DAK eine Hotline. Versicherte aller Krankenkassen können sich zwischen 8 und 20 Uhr von Medizinern Fragen zu EHEC beantworten lassen – unter (0180) 100 07 42 (3,9 Cent/Min aus dem Festnetz; maximal 42 Cent/Min bei Anrufen aus Mobilfunknetzen).


Der Erreger

Eigentlich sind Coli-Bakterien (Escherichia coli) friedliche Gäste im menschlichen Darm. Es gibt aber eine ganze Reihe von Bakterienstämmen, die Durchfallerkrankungen auslösen können. Eine besonders gefährliche Variante dieser krankmachenden Varianten von E. coli sind die Enterohämorrhagischen Escherichia coli (EHEC). Anders als bei früheren EHEC-Ausbrüchen ist es diesmal nicht ein Stamm des Typs O157:H7, sondern des seltenen Typs O104:H4. Die 1977 erstmals beschriebenen Krankheitserreger weisen mehrere Unterschiede zu harmloseren Stämmen auf. Zum einen sitzt auf ihrer Zellmembran ein Eiweiß, mit dem sie sich an die Zellen der Darmwand heften. Zum anderen sorgt ein durch Phagen (eine Art Viren) eingebautes Gen dafür, dass EHEC zwei Giftstoffe produziert.

Einer der Giftstoffe, wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Toxin des Durchfallbakteriums Shigella dysenteriae auch Shiga-Toxin genannt, ist für die zum Teil blutigen Durchfälle verantwortlich. Das zweite Toxin zerstört Blutzellen. Das zungenbrecherische Adjektiv »Enterohämorrhagisch« hängt somit mit diesen Toxinen zusammen: Entero steht für die Anwesenheit der Bakterien in den Eingeweiden und hämorrhagisch für »zu Blutungen führend«.

Anders als beim Menschen sind die so veränderten Coli-Bakterien für den Verdauungstrakt von Wiederkäuern offenbar ungefährlich. Denn dort findet man sie hauptsächlich. Mögliche Infektionswege sind infolgedessen durch unsachgemäße Schlachtung und Zerlegung verunreinigtes Fleisch, durch Spuren von Kot verunreinigte Rohmilch oder aber durch frischen Dung bzw. Gülle verunreinigte Pflanzen. Eine 2003 vom Robert-Koch-Institut veröffentlichte Studie zeigt folgerichtig in Ortschaften mit hohem Rinderbestand ein doppelt so hohes Infektionsrisiko mit EHEC wie in Gebieten mit wenig Rindern. Nachdem es in den 90er Jahren in den USA mehrfach zu größeren Infektionen durch kontaminierte Hamburger kam, sind EHEC-Infektionen seit 1998 auch in Deutschland meldepflichtig. StS

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