Nebensaison ist hier fast das ganze Jahr

Das Val d'Aran in den spanischen Pyrenäen gilt noch als ein Geheimtipp zum Wandern

  • Sandra Rauch
  • Lesedauer: 6 Min.
Auf dem Weg nach Vilamos
Auf dem Weg nach Vilamos

Wenn man Juanma Morell aus Vielha fragt, wo er, als Einheimischer, am liebsten wandert, dann zeigt sein Finger auf der Karte auf einen gestrichelten Zickzack-Kurs. In großzügigen Schlenkern zieht sich ein Weg durch die Hänge des Val d’Aran in den spanischen Pyrenäen, alle paar Kartenzentimeter unterbrochen von einem Häuflein kleiner Rechtecke und einem Miniatur-Kirchturm, Symbole für Orte wie Vilamòs, 139 Einwohner, oder Benós, wo gerade noch 30 Menschen zu Hause sind. »Die ältesten Dörfer des Val d’Aran«, sagt Juanma, »und sehr schöne Landschaft«.

Eine stille Wanderung ist diese Tour. Kurz vor Arró, dem ersten Dorf, huscht ein Eichhörnchen über den schmalen Pfad. Am graubraunen, tief gefurchten Stamm einer Eiche flitzt es ins grüne Dach des alten Baums. Einen Moment noch wippt sein buschiger, rostbrauner Schwanz zwischen den Blättern, dann ist der kleine Nager verschwunden und nichts scheint sich mehr zu regen, hier im Wald von Artigaus. Weich ist der Boden unter den Füßen, die Sohlen der Schuhe drücken das modrige Laub kaum hörbar zusammen. Vögel zwitschern, die Sonne wirft helle Kreise durch das lichte Blätterdach.

Alles wirkt wie im Bilderbuch, doch für die Frauen und Männer des Val d’Aran, des einzigen spanischen Tals auf der Nordseite der Pyrenäen, bedeutete diese Szenerie viele Jahrhunderte lang harten Alltag. Die schmalen Pfade waren ihre einzige Verbindung zur Außenwelt. Getreide, Brennholz oder Baumaterial haben sie hier mit ihren Eseln transportiert, unten vom Tal des Oberlaufs der Garonne bis hinauf zu ihren kleinen Dörfern an den Sonnenhängen unterhalb der hohen Pyrenäen-Gipfel.

Kaum mehr als zwei Dutzend Häuser, eine Kirche, ein Dorfplatz und ein Brunnen mit Waschtrog sind diese Dörfer. Fassaden aus grauen und braunen, unregelmäßigen Steinen, massiv, meist unverputzt, dazwischen Gassen, so eng, dass gerade ein Eselskarren passieren kann. Alles ist schlicht und einfach, und doch sorgsam herausgeputzt. Vor fast jedem Fenster hängen Blumenkästen, auf Treppen und selbst in den Gassen stehen große Kübel. Rot, weiß und rosa, Geranien, Petunien, ein Meer von Blumen wohin man blickt.

Natürlich sind die kleinen Orte längst auch mit dem Auto zu erreichen, doch ihren Zauber, die Freiheit des Lebens in dieser Abgeschiedenheit erfährt man am besten, wenn man sich zu Fuß auf den Weg macht. Vilamòs zum Beispiel, fünfte Station der Sieben-Dörfer-Route und der vermutlich älteste Ort im Val d'Aran, taucht aus der Wanderschuhperspektive fast plötzlich aus einem kleinen Urwald von Farnen, Brombeerdickicht und Hagebuttensträuchern auf.

Hier, wo der Blick frei wird auf den vergletscherten Gipfel des Aneto, den mit 3404 Metern höchsten Punkt der Pyrenäen, haben die Aranesen schon im 11. Jahrhundert eine Kirche gebaut, Santa Maria de Vilamòs, eine von mehr als 15 gut erhaltenen, romanischen Kirchen im Val d'Aran. Wie ein Wächter überragt ihr Glockenturm die dunkelgrau gedeckten Dächer des Dorfes und die schläfrige Ruhe in seinen Gassen. Es ist Mittagszeit. Ein Mann schiebt eine Schubkarre mit Zement über die kleine Plaza vor der Kirche, sonst rührt sich nichts. Selbst die Fahnen vor dem kleinen Rathaus machen Siesta, schlaff hängt das katalonische neben dem spanischen Banner am Mast.

Zur Ruhe kommen und abschalten, dabei Details entdecken in einer Landschaft, die von lieblich bis schroff alles zu bieten hat, vor allem das sind Ferien im Val d’Aran. Das Tal liegt auf der Regenseite der Pyrenäen und ist dadurch außerordentlich grün und landschaftlich vielfältig. Trotzdem herrscht außerhalb der Skisaison und einer kurzen Zeit im Juli und August kaum Andrang: Um ganzjährig Touristenströme anzuziehen, liegt dieser letzte Zipfel Kataloniens mit seinen 620 Quadratkilometern und rund 8000 Einwohnern zu sehr im toten Winkel zwischen Spanien und Frankreich. Gut markierte Wanderwege mit insgesamt mehr als 300 Kilometern Länge, die vom Tal durch die Dörfer bis ins Hochgebirge führen, das 400 Kilometer lange Netz von Mountainbike-Routen oder die klaren Seen und Flüsse zum Angeln bieten deshalb oft noch Ursprünglichkeit, ein bisschen Wildnis und vor allem die Illusion, das alles für sich allein entdecken zu können. Der Tourismus im Tal setzt verstärkt auf die Nische der Individualurlauber, die kommen, um in urigen Steinhäusern zu übernachten, die sich begeistern für das Miteinander von Feigenbäumen, alten Eichen und Hochgebirgstannen oder die staunen über bunte Wandmalereien und holzgeschnitzte Christusfiguren in alten Kirchen.

Nicht wenige Aranesen sind sogar umgestiegen, weg von der Masse und hin zur Nische. José Antonio Tarrau zum Beispiel, der in 63-Seelen-Ort Bagergue jede Woche gut 260 Käse formt. Kleine und große Räder aus hellgelbem, fast weißen Käse, 300 Gramm schwer die kleinen, mehr als ein Kilo die großen. Bis vor ein paar Jahren war José noch Skilehrer im nahegelegenen Superskigebiet Beret-Baqueira. Geblieben aus dieser Zeit ist die Liebe zu funktionellen Kleidungstücken wie der weißen Fleece-Jacke, die sich über den Bauch des 33-Jährigen spannt. Und seine Freuden am Entertainen. Fast pausenlos rattern die Worte aus seinem Mund, als er die Verkaufsstube zeigt und darunter im Keller die silbernen Milchkessel und die Holzregale zum Reifen des Käses. Zusammen mit seinem Bruder Oscar betreibt José die einzige handwerkliche Käserei des Arantals, die obendrein noch die am höchsten gelegene Käserei der Pyrenäen ist – auf 1419 Metern über dem Meer. »Wir sind hier im Grunde die letzten Mohikaner«, sagt José, doch er klingt nicht so, als sei er darüber auch nur ein bisschen traurig. Schon seine Großmutter Genoveva hat hier in Bagergue Käse gemacht. Ihre Rezepte haben die beiden Brüder wiederentdeckt, die notwendige Praxis bei Käsemachern in Frankreich und dem spanischen Baskenland gelernt.

Schnell hackt die Klinge von Josés großem Käsemesser ins Schneidbrett, Stückchen zum Probieren reicht er über die rotbraune Theke. Der kleine Verkaufsraum ist längst Treffpunkt des Ortes. Diesen Nachmittag schaut erst der Bürgermeister zum Plausch vorbei. Dann kommen zwei Urlauber, denen José freimütig das Geheimnis seines Käses erklärt. In einer blauen Plastikschüssel schwappt dieses Geheimnis, es ist ein Bad aus Essig, Olivenöl und Armagnac, einem französischen Brandy aus der Gascogne. Vorsichtig tunkt José den Käse in die Schüssel, dann legt er ihn ins lange Regal aus hellem Holz. Zwei Monate, mindestens, müsse der jetzt reifen, sagt José. »In aller Ruhe, wie früher.«

  • Infos: Spanisches Fremdenverkehrsamt, Kurfürstendamm 63, 10707 Berlin, Tel.: (030) 88 26-543, Fas: -661, E-Mail: berlin@tourspain.es, www.spain.info, www.visitvaldaran.com (auch deutsch)
  • Die Wandersaison dauert von Mitte März bis Mitte November. Im Frühjahr und Spätherbst kann in den Hochgebirgslagen zum Teil Schnee liegen.
  • Anreise: Am besten über Toulouse und dann mit dem Mietwagen in 1,5 Stunden (165 km) nach Vielha, dem Hauptort des Val d’Aran. Flug nach Toulouse zum Beispiel mit KLM ab vielen deutschen Flughäfen, ab 168 Euro hin und zurück.
  • Ausflugstipp: Besichtigung der Käserei Tarrau in Bagergue mittwochs, freitags und samstags 11 und 16 Uhr, Dauer: 1 Stunde, Preise pro Person: Erwachsene 7 Euro, Kinder von 6 bis 12 Jahren 4 Euro, Kinder unter 6 Jahren gratis. Infos und Kontakt unter www.quesosdelvalledearan.com (spanisch).
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