Auf den Meilenstein folgt der Krach

Schwarz-Gelb streitet über beschlossenen Atomausstieg / Energieriese RWE erwägt Klage

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Als »Meilenstein« sieht die Regierung den Atomausstieg bis 2022 – doch Union und FDP lassen keine Gelegenheit aus, sich gegenseitig in die Parade zu fahren. Lachende Dritte könnten die Stromkonzerne sein, die Schwarz-Gelb vor Gericht zerren wollen.

Berlin (dpa/ND). Die schwarz-gelben Gemeinsamkeiten beim Atomausstieg schmelzen dahin. Während sich Kanzlerin Angela Merkel in den USA feiern lässt, findet FDP-Generalsekretär Christian Lindner in Berlin wenig freundliche Worte. Die Liberalen fühlen sich bei der AKW-Abschaltung übergangen und schieben der Union den Schwarzen Peter zu, falls es zu Klagen der Atomkonzerne und »Blackouts« im Stromnetz kommt. »Wir haben davor gewarnt und hätten für dieses Risiko gerne Vorsorge getroffen«, sagt Lindner und scheut sich nicht, die Union zu attackieren. »Aber die Bundeskanzlerin und insbesondere der bayerische Ministerpräsident haben dargelegt, dass sie keine rechtlichen Bedenken haben.«

Rückt die FDP nun vom schwarz-gelben Ausstieg wieder ab – nur einen Tag nachdem Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) den Konsens als »Meilenstein« gepriesen hatte? Soweit wollte Lindner nicht gehen. Natürlich werde man die Entscheidungen im Bundestag mittragen. In vielen Details müsse es aber Änderungen für mehr Wettbewerb geben.

Als üble Nachrede wird empfunden, dass die falsche Info durchgestochen worden sei, FDP-Chef Philipp Rösler habe einen Ausstieg erst zum Jahr 2023 gefordert. Dazu kommt die von Unionsleuten mit Genuss erzählte Episode, wie Merkel den Neuling Rösler in die Schranken gewiesen habe (»Hier tragen nur Minister vor, nicht Beamte.«) Augenscheinlich ist für die CDU-Chefin beim historischen Abschied von der Kernenergie der Gedanke, SPD und Grüne ins Boot zu holen, über dem Koalitionsfrieden angesiedelt. Der Eindruck drängt sich auf, dass die Union sich schon auf eine Zeit nach Schwarz-Gelb einstellt.

In der Atom-Sache droht eine Klagewelle der Konzerne. Umweltminister Röttgen hält die Lösung mit einer fünfstufigen Abschaltkaskade ab 2015 juristisch für sauber. In einem Brief aber legt RWE-Chef Jürgen Großmann den Finger in die Wunde. Die Regierung geht davon aus, dass alle AKW ihre zugestandenen Reststrommengen bis zum jeweiligen Abschaltdatum abfahren können. Sie legt dafür eine jährliche Auslastung der Meiler von rund 90 Prozent an. Großmann kommt wegen immer mehr Ökostrom auf höchstens 85 Prozent. Daher könnte besonders RWE laut eigener Rechnung auf bis zu fünf Jahren Laufzeit sitzen bleiben – dem Energieunternehmen drohen Milliarden-Einbußen.

Ob RWE notfalls klagen will, lässt Großmann ebenso offen wie Vattenfall-Chef Øystein Løseth. Dieser fordert eine »faire Entschädigung« – schließlich seien 700 Millionen Euro in die pannengeplagten Meiler Krümmel und Brunsbüttel investiert worden, die die Regierung nun dichtmachen will. Ein Einfallstor für die Topjuristen der Konzerne könnte auch sein, dass selbst die Reaktor-Sicherheitskommission sich scheute, AKW-Abschaltungen überhaupt zu empfehlen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass Merkel und Röttgen auf die Sorgen eingehen werden. Dies könnte als Einknicken vor der Atomlobby und vor der FDP gewertet werden.

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