Kurella und der Prager Keller

Willi Sitte, sein »Lidice« und die Frage: Wie entsorgt man das Bild eines Kommunisten?

  • Peter H. Feist
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Buch verdient unter mehreren Aspekten Aufmerksamkeit. In erster Linie erweitert es die Kenntnisse vom Schaffensweg des Malers Willi Sitte, berichtigt Irrtümer älterer Publikationen und weist böswillige Behauptungen zurück, die gegen ihn erhoben wurden.

Das Buch beleuchtet ferner Züge der DDR-Kunstpolitik, und zwar öffentliche Auseinandersetzungen um Orientierungen des Kunstschaffens wie auch seinerzeit verdeckt gebliebene Maßnahmen gegen unbotmäßige Künstler, zu denen auch Sitte lange Zeit zählte. Schließlich bekommen wir Hinweise auf Unstimmigkeiten zwischen den Bruderstaaten DDR und CSSR, die tief in der konfliktreichen Geschichte verwurzelt waren und Sitte, Sohn einer Tschechin und eines Deutschen, persönlich betrafen.

Die Osnabrücker Kunsthistorikerin Gisela Schirmer schrieb 1998 für einen Sammelband eine kurze Werkmonografie über »Lidice«, ein als verschollen anzugebendes Gemälde Sittes, und besuchte den Künstler in Halle. Damit begannen ihre Forschungen zur bildenden Kunst der DDR, speziell zu Sitte, die mit dem vorliegenden Buch einen neuen Höhepunkt erreichen.

Zum ersten Mal werden kleine Skizzenbücher Sittes mit Vorbereitungen auf Gemälde bekannt, mit denen er sich an der Entwicklung von Historienmalerei beteiligte, die politisch gewünscht war, um der jungen DDR zusätzliche Legitimation aus der Geschichte zu geben. Auf »Völkerschlacht bei Leipzig« folgten »Kampf der Thälmannbrigade in Spanien« und seit 1956 jenes Bild, das eine besondere Gräueltat der Nazis anprangerte. 1942 wurden nach dem Attentat tschechischer Partisanen auf Reichsprotektor Heydrich das angeblich beteiligte Bergarbeiterdorf Lidice, in dem auch weitläufige Verwandte Sittes lebten, vernichtet, alle Einwohner erschossen oder ins KZ gebracht, die Kinder verschleppt.

Nach einem ersten Besuch des neu erbauten Dorfes begann Sitte mit Skizzen. Er prüfte Motive, Kompositionen, stilistische Möglichkeiten, ließ sich von Gemälden Goyas und Picassos anregen, malte Varianten, die ganz allgemein »Massaker« betitelt wurden, und endete, wie vorher bei »Thälmannbrigade«, bei dem abgewandelt erneuerten Typus eines dreiteiligen Bildes.

Er gab die Darstellung der Erschießung und das Motiv, dass sich die SS-Henker fotografieren ließen, auf und zeigte nur, wie diese sich nach der Tat ausruhten. In der Predella vier liegende Tote, als Gegenwart eine ruhig sitzende Frau mit Fotos der Opfer. Zuvor hatte Sitte rufende Frauen wiedergeben wollen. Die Formgebung war vereinfacht, hartkantig, verstieß gewollt gegen die Zentralperspektive.

Das Gemälde war 1959 weitestgehend fertig, Sitte wie das Außenministerium wollten es dem neuen Museum in Lidice schenken. Aber Alfred Kurella, als Leiter der Kulturkommission beim SED-Politbüro die oberste Macht in Kunstfragen, lehnte die »modernistische« Gestaltungsweise ab, was sich auch später bei anderen Bildern des Künstlers wiederholte – der gleichwohl ein Hoffnungsträger der Partei blieb.

Kurella versuchte beim zuständigen ZK-Sekretär in Prag zu erwirken, dass Frauen aus Lidice mit Sitte diskutieren sollten, um eine Änderung des Bildes zu erreichen. Sitte konnte mit Hilfe der Nationalgalerie sein Bild im Oktober 1961 in Berlin ausstellen und zeigte es 1962 in Halle. Bei der Feier im Juni in Lidice zum 20. Jahrestag des Massakers gehörte er zur auffällig kleinen DDR-Delegation, aber sein Bild, das er übergeben wollte, war nicht eingetroffen.

Von da an sind Nachrichten und Erinnerungen spärlich und widersprüchlich. Vermutlich verschwand das Bild im Keller des Prager Kulturministeriums. Das große Bild eines Sudetendeutschen hätte im Museum von Lidice dominiert, was manche offenbar nicht wollten. Als Sitte 1974 Präsident des DDR-Künstlerverbandes geworden war, unternahm er, mit vielen Projekten befasst, offenbar keine Anstrengungen, das Schicksal dieses Bildes aufzuklären.

Die Beziehungen zwischen DDR und CSSR waren seit 1968 nur frostig. Für die bildende Kunst hatte ich schon 1966 beobachten können, dass tschechische, slowakische Künstler auf Anlehnung an West-Tendenzen aus waren und kein Interesse an realistisch-expressiven Historienbildern zeigten. Ich kann mir gut vorstellen, dass nach 1989 irgendjemand in Prag das »wertlose« Bild eines deutschen Kommunisten »entsorgte«.

Peter H. Feist, geboren 1928, ist einer der international renommierten deutschen Kunstwissenschaftler, er leitete bis 1990 das Ästhewetik-Institut der Akademie der Wissenschaften der DDR.

G. Schirmer: Willi Sitte – Lidice. Historienbild und Kunstpolitik in der DDR: Dietrich Reimer Verlag 2011, 157 S., 101 farb. u. s/w Abb., 19,95 Euro.
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