Geld ist entscheidender als »Mutter und Vater«

Studie der Universität Bielefeld untersucht Kinder Alleinerziehender

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 3 Min.
Für die, die es noch nicht wussten: Alleinerziehende erziehen deutlich besser als es ihnen mitunter zugetraut wird. Das ergab eine Untersuchung, die auf Interviews mit Kindern basiert und gestern in Berlin vorgestellt wurde. Viel wichtiger als das Vorhandensein zweier Elternteile ist für ein gutes Aufwachsen die sozioökonomische Lebenslage, sprich: Geld.

Der Anteil Alleinerziehender oder Einelternfamilien – so das andere schöne Wort – wird größer. Während der vergangenen 15 Jahre stieg er in Deutschland um 70 Prozent auf derzeit 2,2 Millionen. In großen Städten wie Berlin lebt inzwischen die Hälfte des Nachwuchses nicht mehr in traditioneller Mutter-Vater-Kind-Beziehung. Dass andere Lebensweisen nicht unbedingt von Nachteil für die Heranwachsenden sind, haben Untersuchungen in den vergangenen Jahren bereits mehrfach gezeigt. Dennoch werden Alleinerziehende ihr Stigma nicht los, und die Politik hält unverdrossen am Leitbild der »vollständigen« Familie fest.

Eine Studie der Universität Bielefeld mit Unterstützung der Bepanthen Kinderförderung von der Bayer Vital GmbH hat die »Auswirkung von Alleinerziehung auf Kinder in prekärer Lage« untersucht – erstmalig anhand von Interviews mit 1050 Kindern. Die Probanden kamen aus Hamburg, Berlin, Dresden, Dortmund, Mainz und München, waren zwischen sechs und 13 Jahre alt und kamen aus gut und schlecht situierten Mutter-Vater-Kind-Familien sowie aus ebenso unterschiedlich situierten Familien mit einem Elternteil. Sie sagten ganz erstaunliche Dinge, wie der Erziehungswissenschaftler Holger Ziegler fand. So wurden die Kinder beispielsweise nach ihren Fähigkeiten gefragt. Arme Kinder schätzen diese negativer ein als ihre privilegierten Altersgenossen. Allerdings gaben letztere an, selbst dann noch bessere Noten in der Schule zu bekommen, wenn sie sich selbst nicht so gut beurteilten.

Alleinerziehend mit Netz

Sozial benachteiligte Kinder hingegen berichteten, dass eine positive Selbsteinschätzung ihres Könnens nicht mit besseren Schulnoten einherging. »Das verursacht tiefe Kränkungen«, sagte Ziegler. Seinen Angaben zufolge ist die Armutsrate in Haushalten mit nur einem Elternteil am höchsten. 40 Prozent dieser Familien gelten als einkommensarm.

70 bis 80 Prozent aller befragten Kinder trauten sich zu, »Probleme lösen zu können«. Dabei ist dieses Selbstwirksamkeitsempfinden, wie die Wissenschaftler es nennen, bei Kindern von sozial benachteiligten Alleinerziehenden tendenziell sogar höher als bei privilegierten Kindern. Eine Erklärung dafür sei, dass die Kinder offenbar früher lernen, mit Einschränkungen und Schwierigkeiten umzugehen. Ein weiterer Pluspunkt sowohl für die »unvollständigen« als auch die armen Familien: Alle Kinder gaben an, dass sich gut um sie gekümmert werde. Alleinerziehende sind nach den Aussagen der Kinder sogar besser in unterstützende Netzwerke eingebunden.

Kein eigenes Zimmer

Problematisch ist also nicht die kleine Familie selbst, sondern ihre ökonomische Lage und ihr Umfeld. Kinder aus materiell benachteiligten Familien gehe es in allen Lebensbereichen schlechter, »obwohl die Eltern alles richtig machen«, ist Holger Zieglers Fazit. Sie würden schon in jungen Jahren wahrnehmen, dass die Familie nicht genügend Geld habe, und hätten häufiger angegeben, dass ihnen kein eigenes Zimmer zur Verfügung steht. Zudem würden sie sich oft schämen oder traurig fühlen, obwohl ein konkreter Grund dafür fehlt. Kinder von Alleinerziehenden werden der Studie zufolge häufiger ausgegrenzt. Jedes dritte Kind habe angegeben, schon einmal gehänselt worden zu sein.

Zieglers Forderung: Die Gesellschaft müsse mehr Bildung und Teilhabe für benachteiligte Kinder ermöglichen.

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