Nach jedem Buch am Ende
Herta Müller:
Seltsamer Satz einer Schriftstellerin: »Ich glaube nicht an die Sprache.« Ein Satz von Herta Müller, in einem Gespräch mit der Filmpublizistin Renata Schmidtkunz im Österreichischen Rundfunk – 2009, wenige Tage bevor die rumänisch-deutsche Autorin Nobelpreisträgerin für Literatur wurde.
Der Unglaube in die Sprache: überhaupt kein seltsamer Satz für eine Schriftstellerin, sondern wahrhaftigster Urgrund fürs Schreiben. Denn Sprache ist, so Müller, »etwas Künstliches, auch im Alltag, das Leben will ja nicht aufgeschrieben werden«. Sprache verbirgt, sie ist Botschafterin jener Lüge, man könne sich einander so ohne Weiteres verständigen. Aber die einen sagen Diktatur, die anderen Sozialismus; Staatssicherheit klingt so ganz anders als Spitzelwesen und ist doch das gleiche. Die Sprache singt von der Partei, und die Menschen leiden. Die Sprache behauptet Freiheit, und die Hände packen zu und schleppen Menschen ins Lager.
So wird Sprache für die schreibende Herta Müller etwas, das aufzubrechen sei, bis es als Versuch taugt, etwas nicht Lebbares lebbar zu machen. In diesem Falle: das »Arbeitslager« Volksdemokratie, die Willkür der Securitate, die Verfolgungen, die Ungewissheit, »man wusste eigentlich am Morgen nicht, ob man am Abend noch vorhanden ist«. Das Leben einer von sich selbst Enteigneten, das mahnende, beharrliche, unverrückbar anklagende Literatur wurde. Eine Literatur, die panisch auf Zwischentöne reagiert, hinter denen Relativierung, Beschönigung lauern.
Herta Müller erzählt von der Entstehung ihres Romans »Atemschaukel«, von ihrer tiefen Freundschaft zum regimegepeinigten Schriftsteller Oskar Pastior (noch unwissend, dass er ein paar Jahre später selber als Denunziant der Geheimpolizei entdeckt würde), von ihrer Heimatlosigkeit auch im Westen. Einmal sagt sie: »Man wird nicht allgemein misstrauisch. Nein, man schaut sich immer die Leute an.« Die Konkretheit des Versagens ist da benannt, das Individuelle der Zuständigkeit, wenn es dann, da sich die Zeiten ändern, um Schuld und Sühne geht.
Nach jedem Buch, das sie geschrieben habe, so Herta Müller, sei sie wahrlich am Ende. Denn: »Ich muss mich den Dingen ja immer so stellen, dass sie stärker sind als ich.« Klarer Satz gegen eine Literatur, die listig über den Dingen steht, die nichts vom Beben der Erfahrung mitzuteilen weiß – aus Angst vor der Wahrheit oder aus Arroganz ihr gegenüber.
Hans-Dieter Schütt
Herta Müller: Ich glaube nicht an die Sprache. Ein ORF-Gespräch mit Renata Schmidtkunz (mit CD). Aus der Reihe »Gehört Gelesen«, hrsg. von Lojze Wieser. Wieser Verlag Klagenfurt/Celovec. 62 S., engl. Broschur, 19,90 €.
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