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Alte Männer mit Hüten zeigten wo die Hämmer hingen

Leon Russell und Dr. John beim 45. Montreux Jazz Festival

  • Christoph Nitz, Montreux
  • Lesedauer: 4 Min.
Zwei Virtuosen der Tasten gastierten am 6. Juli in der Miles Davis Hall: Leon Russell ist einer der (un-)bekanntesten Sidemen der Musikgeschichte und Dr. John hatte in den 1970er Jahren als "The Night Tripper" seine Hochzeit mit einer Mischung aus Voodoo-Beschwörungen, Rhythm- und Blues und Soulmusik. Sie zeigten beide vom ersten Ton wo der (Klavier-)Hammer hing.
Dr. John kann gleich zwei Tasteninstrumente bedienen und dennoch Contenance behalten. Rechts oben auf dem Flügel der Totenkopf mit schicker Kappe.
Dr. John kann gleich zwei Tasteninstrumente bedienen und dennoch Contenance behalten. Rechts oben auf dem Flügel der Totenkopf mit schicker Kappe.

Der Name Leon Russell dürfte nur wenigen ein Begriff sein – aber fast jeder hat schon einen Titel gehört, bei dem der früher langhaarige Pianist mit von der Partie war. In den 1960er Jahren war er fester Bestandteil von Phil Spectors Studiocrew und baute fleißig mit wuchtigem Pianoakkorden an dessen „Wall of Sound" mit. Spectors Monstertitel "River Deep - Mountain High" versah er mit dem bis heute wirkmächtigen Arrangement. Bei George Harrisons "Concert for Bangladesh" begeisterte Russell mit einem furiosen Auftritt, in dessen Mittelpunkt seine Interpretation des Rolling Stones Klassikers „Jumping Jack Flash" stand. Der Film vom ersten Benefiz-Konzert eines Superstars gehört zum Kanon der Rockmusikgeschichte.

Wer nur mit den Bildern dieses 40 Jahre zurückliegenden Konzertevents im Kopf in die Miles Davis Hall kam, dürfte über den alten Mann am Stock mehr als erstaunt gewesen sein. Von Russells Gesicht bekamen die Zuschauer kaum etwas zu sehen, ein schlohweißer Bart ließ nur wenig ebenfalls weiße Haut durchblitzen. Die Augen schützten eine Sonnenbrille und sein immer noch volles Haar krönte ein mächtiger Hut. Sein bedrucktes Hemd dürfte vintage sein – denn solche Geschmacksverirrungen werden heute eigentlich nicht mehr verkauft. Doch schon mit dem ersten Anschlag ist klar, dass er nichts von seinem Ausnahmetalent verloren hat.

In diesem Jahr wurde er endlich in Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen - in der Kategorie der Sidemen, die man häufig übersieht. Anfang der 1970er Jahre hatte er mit Soloplatten Top-Ten-Erfolge – vor allem in den Staaten. Danach begleitete er die Stones und spielte bei vielen Top-Produktionen mit. Sein letztjähriges Album mit Elton John – "The Union" – brachte ihn wieder ins Scheinwerferlicht zurück.

Er ließ seiner exzellenten Band viel Raum – besonders Gitarrist Beau Charron brillierte mit ausdrucksstarken Soli und diversen musikalischen Dialogen mit Pianisten. Allerdings blieb die Stimme des Piano-Altstars weit hinter seinem Tastenspiel zurück – er nuschelte sich durch die Titel, die so mitunter kaum zu erkennen waren. Aber egal – seine majestätische Performance macht das mehr als wett und "That Blues ain't bad." Allerdings dürfte eine Zeile aus seinem größten Hit "A Song for you" inzwischen überholt sein: "I know your image of me is what I hope to be." Diesen Titel zelebriert er allein auf der Bühne und sein Publikum feiert ihn dafür. Den Stones-Klassiker "Wild Horses" interpretiert er weit vom Original entfernt und erreicht stimmlich locker die Klasse eines Keith Richards, der diesen Titel allerdings nie singen durfte. Zum Schluss geht er an den Anfang seiner Karriere zurück und gibt den altersweisen Rock'n'Roller. Kansas City als Midtempo-Boogie und als furioses Finale "Roll over Beethoven" – da durfte natürlich der Duck-Walk von Beau Charron nicht fehlen. Festivaldirektor Claude Nobs kam auch zum Ende des Auftritts und freute sich ein weiteres Mal, dass Leon Russell endlich den Weg an den Genfer See gefunden hatte.

Dr. John ist zwar zwei Jahr älter als Russell, wirkte aber deutlich präsenter. Zu seinem Image als Voodoo-Beschwörer passte ein Totenkopf auf dem Flügel – nett ausstaffiert mit einer Kappe. Sein Rat "Feel the music and call me doctor" wurde gern befolgt und nur wenige hätten nicht zugestimmt als er sich selbst lobte mit "You know that I'm qualified." Seine Klasse bewies er auch indem er mit jeweils einer Hand Flügel und die alte weiße Hammond-Orgel bediente.

Sehr relaxed ging der Doktor seine Sprechstunde an – und schöpfte aus seinem schier unerschöpflichen Material. Humor bewies er auch bei der Wahl des Namens für seine drei Begleiter: "The Lower 911". Wie Leon Russell machte Dr. John seine ersten Arbeiten bei Phil Spector und auch bei den Rolling Stoneswar er mit auf Reisen. Die beiden alten Männer mit Hüten lieferten einen Abend der besonderen Klasse.

Vor dem Konzert hatte ich noch einmal bei DJ Livia verbeigeschaut, die ihren freien Tag mit Ruben Blades und Ricky Martin verbringen wollte. So ist das in Montreux, meist fällt die Auswahl schwer. Allerdings hatte auch Festivalgründer es sich nicht nehmen lassen, die beiden Piano-Veteranen zu begrüßen. Bei Leon Russell handelte es sich um seinen ersten Aufritt, obwohl Nobs sich schon seit vielen Jahren um den Südstaaten-Musiker bemüht hatte. Und der Auftritt war schlicht „hammermäßig", wie ein Schweizer Journalistenkollege im Salon de Presse per Telefon weitergab. Ich freue mich schon jetzt auf die Filmaufnahmen, denn in Montreux werden alle Auftritte technisch aufwändig aufgezeichnet.

Leon Russell beherrschte sein Konzert mit majestätischer Präsenz und Stimme in der Keith-Richards-Liga.
Leon Russell beherrschte sein Konzert mit majestätischer Präsenz und Stimme in der Keith-Richards-Liga.
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