Vorlesungen im Kinosaal

Die Europa-Universität Frankfurt (Oder) wird zwanzig Jahre alt – Lutz Wolfgramm war der erste Student

  • Leticia Witte, dpa
  • Lesedauer: 2 Min.
Es war wohl Zufall, dass Lutz Wolfgramm 1992 der erste Student der neu gegründeten Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder)wurde. Doch er ist der Stadt im Osten Brandenburgs treu geblieben.

Frankfurt (Oder). Studenten hören ihre Vorlesungen im Kinosaal. Weil nicht genug Bücher in der Bibliothek stehen, schreibt erst die eine Hälfte des Seminars die Hausarbeit, zwei Wochen später dann die andere. Im einzigen Studentenwohnheim kommen sich Deutsche und Polen langsam näher. »Glücksritter« aus dem Westen reisen mit Sack und Pack Hunderte Kilometer an, um beim Aufbruch dabei zu sein.

»Das ist ein Scherz«

So erinnert sich Lutz Wolfgramm an eine besondere Zeit an der deutsch-polnischen Grenze, als er 1992 an der ein Jahr zuvor wiedergegründeten Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) sein Jurastudium begann. Nicht nur das: Er war die Nummer 1, der erste Student. Denn der gebürtige Schwedter wurde bei der Verwaltung der Universität mit Matrikelnummer 1 registriert. »Als ich die Unterlagen bekommen habe, dachte ich, das ist ein Scherz«, sagt der 39-Jährige heute. Damals tickten die Uhren so: Die Verwaltung vergab die Nummern, mit denen die Studenten registriert wurden, mit dem Eingang der Bewerbung. Lutz Wolfgramm war also der erste, dessen Bewerbung im Briefkasten der Viadrina lag, wie die Pressestelle der Europa-Universität erläutert.

»Die Uni war eher provisorisch«, sagt Wolfgramm. Es gab nur wenige Gebäude, von einem Campus konnte nicht die Rede sein. Er sagt, dass ihn damals die europäische Ausrichtung der Universität angezogen habe – er wollte Europa- und Völkerrecht studieren. »Man hat schon gemerkt, dass es ein Neuanfang war.« Der Vorteil: »Jeder kannte jeden.« Der Nachteil: Es gab keine höheren Semester, bei denen er sich hin und wieder einen Rat hätte holen können.

Der Jurist erinnert sich, dass unter den ersten Studenten zahlreiche junge Leute aus den neuen Bundesländern waren, aber auch etliche Polen und einige aus dem Westen. »Die haben das Abenteuer gesucht«, ist Wolfgramm überzeugt.

Heute 6000 Studenten

Am 15. Juli 1991 war Frankfurt (Oder) nach 180 Jahren offiziell wieder Universitätsstadt geworden. Die ersten 456 Studenten kamen nach Hochschulangaben zum Wintersemester 1992/1993. Im Jahr 1811 – also vor 200 Jahren – war die Viadrina nach Breslau verlegt worden.

Wolfgramm konnte bis zum ersten Staatsexamen 1999 beobachten, wie immer mehr Gebäude für die Viadrina hinzukamen und die Studentenzahl wuchs – heute sind es mehr als 6000. Der 39-Jährige ist in der Stadt geblieben: Er arbeitet dort als Rechtsanwalt. Bis heute hat er eine braune Studienbescheinigung, auf der die Matrikelnummer 1 steht.

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